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Die Bedeutung des Verbrauchers steigt

Datum: 24.08.2020Quelle: DLG

 

 

 

Der virtuelle Lebensmitteltag Sensorik der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) stand dieses Jahr unter dem Leitthema „Sensorisches Produktmanagement – Erfolgreiche Methoden für Innovationen und Reformulierungen“. Experten stellten neue Wege einer modernen Lebensmittelsensorik in der Verarbeitung vor. Sensorisches Produktmanagement 4.0 trägt wesentlich dazu bei, dass Unternehmen in immer dynamischeren Märkten von der fortschreitenden digitalen Transformation profitieren. Dabei kommt einer konsumentenzentrierten Produktentwicklung eine immer größere Bedeutung zu.

Steigende Flopraten und damit verbundene hohe Kosten haben bei vielen Lebensmittelproduzenten zu einem Umdenken geführt. „Der Verbraucher kommt nicht mehr nur am Ende der Produktentwicklung zum Einsatz. Er wird vielmehr integraler Bestandteil des gesamten Entwicklungsprozesses, angefangen von der Ideenfindung, Konzeptionierung bis hin zur Realisierung der Produkte“, so Imke Matullat, Projektleiterin Sensorik, ttz Bremerhaven. Für die sensorische Produktforschung entlang dieser Kette stehen unterschiedlichste sensorische Methoden zur Verfügung.

Während geschulte Prüfer für analytische Methoden, wie beschreibende Verfahren oder Unterschiedsprüfungen, genutzt werden, geben Verbraucher ihr hedonisches Urteil zu einem Produkt ab. Mittlerweile werden zunehmend auch neuere Schnellmethoden, wie zum Beispiel die CATA-Methode (check-all-that-apply) oder Mapping Verfahren, zur sensorischen Beschreibung von Produkten eingesetzt. Im selben Test führen Konsumenten häufig auch eine Akzeptanzbewertung durch. Dies spart Zeit und Kosten.

Klein- und mittelständische Unternehmen nutzen heute meist noch die klassischen Methoden, wie den Akzeptanz- oder Präferenztest. In vielen Fällen ist der CLT-Test (central-location-test) noch das Mittel der Wahl. Bedingt durch den Corona-Lockdown wird der Home-Use-Test unter Einsatz von Apps oder Online-Fragebögen, die zudem über das Smartphone abgerufen werden können, immer attraktiver für kleinere Unternehmen. Dass dieser unabhängig von den Rahmenbedingungen in der Praxis gut umgesetzt werden kann, veranschaulichte Anja Gibbels, Leitung Produktentwicklung, Lizza GmbH, Neu-Isenburg. Das Start-up stellt Produkte auf Basis von Leinsamen her. Der starken Social Media-Präsenz des Unternehmens und der intensiven Einbindung ihrer Crowd (Online-Community) kommt auch hinsichtlich der Produktentwicklung eine wichtige Rolle zu, denn sie ermöglicht es, einen Time-to-Market von einer Woche zu realisieren: Die Einbindung der Verbraucher erfolgt vorwiegend digital über den kompletten Produktentwicklungsprozess. Sowohl bei der Ideengenerierung, den Prototyen-Tests als auch nach einem Kauf sorgen automatisierte Kundenumfragen für ein schnelles Feedback, das direkt in die Weiterentwicklung des Produktes einfließt.

 

Die Agentur für moderne Kommunikation M.I.L.K aus Frankfurt am Main erleichtert laut Projektmanagerin Sarah Seibt mit einer agilen Plattform via Food-Truck und einem neuen Tool die Produktentwicklung. Das M.I.L.K. Research & Innovation Lab ist eine Mischung aus Design Sprint, Rapid Prototyping und Street Research mittels Food Truck. In wenigen Tagen können an zentralen Standorten qualitative Ergebnisse von bis zu 500 Interviews je nach Komplexität der Fragebögen erzielt werden. Auf diese Weise werden laut Seibt wertvolle Insights gesammelt – ohne, dass die Atmosphäre eines Marktforschungsinstituts aufkommt. Das ist wichtig, denn „Lebensmittel muss man mit allen Sinnen wahrnehmen und bewerten. Online-Umfragen stoßen hier an ihre natürlichen Grenzen“, so die Referentin. Die frühen Tests, die aktuell an die Corona-Restriktionen angepasst wurden, ermöglichen eine agile Designentwicklung in zielgerichteten Schritten. Diese User-orientierte Vorgehensweise verbessert die Projektqualität und bietet Kunden viele Zeit- und Kostenvorteile in ihrem wettbewerbsintensiven, dynamischen Umfeld.

 

Reformulierung

Reformulierungen von Produkten (z.B. Salzreduktionen) haben einen anderen Anspruch an die sensorische Produktforschung als zum Beispiel der Einsatz neuer Proteinquellen in Lebensmitteln. Im Europäischen Forschungsprojekt NextGenProteins werden beispielsweise Produkte mit Mikroalgen-, Einzeller- und Insektenproteinen entwickelt. Eine Beteiligung des Verbrauchers ist hier schon aus ethischer Sicht von Anfang an unerlässlich, damit alternative Proteinquellen erfolgreich in die Lebensmittelproduktion implementiert und Aversionen verhindert werden können.

 

Virtuelle Verkostung

Wie man über eine digitale Plattform Lebensmittelhersteller mit Verbrauchern vernetzen und in Echtzeit sensorische Produktprofile erstellen und austauschen kann, zeigte Christian Sobolta, Head of Business Development & Innovation, des Züricher Unternehmens FlavorWiki. Im Rahmen einer virtuellen Verkostung verschiedener Eistees konnten sich die Teilnehmer selber einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Online-Plattform verschaffen. Über einen Crowdsourcing-Ansatz bietet FlavorWiki die Möglichkeit, die Wahrnehmung und Erwartung von Verbrauchern gegenüber den geschmacklich wertgebenden Faktoren eines Lebensmittels gezielt abzufragen – alles webbasiert und über den QR-Code am Produkt. Aktuell bilden rund 350.000 Konsumenten die globale Taste-Community. Die von ihnen abgegebenen Produktprofile und Geschmackspräferenzen sind die Basis für Big Data. Aus diesen lassen sich über gezielte Datenanalysen und maschinelles Lernen wertvolle Insights für Unternehmen, aber auch für die Teilnehmer der Community selbst extrahieren. Während Hersteller z.B. schnelle Rückschlüsse auf die Akzeptanz neuer Produkte, neuer Rezepturen oder Modifikationen erkennen können, erhalten Konsumenten auf Wunsch gezielte Produktempfehlungen auf Basis ihrer individuellen Geschmackspräferenzen und -profile. Eine Win-Win Situation, die in der Branche weltweit auf zunehmendes Interesse stößt.

 

Die Analyse von unstrukturierten Daten, wie zum Beispiel Kundenfeedbacks u.a. aus Call-Centern, Kommentare in sozialen Medien oder Blog-Beiträge stellt die meisten Unternehmen heute vor große Herausforderungen. Unstrukturierte Daten werden nach den Erfahrungen von Yuwon Song, Senior Sales Managerin, Symanto Research GmbH, Nürnberg für Forschungsansätze deshalb häufig gar nicht in Betracht bezogen, obwohl sich in derartigen Daten spannende Insights verbergen. Sie lassen sich durch die Kombination von Psychologie und KI (künstlicher Intelligenz) aus Textdaten generieren. Wie beschreiben Menschen Geschmäcker und Düfte? Was lässt sich aus Sprache und Text rauslesen? Dabei  kann die Lebensmittelbranche viel von den Erfahrungen der Kosmetikbranche und der Welt der Düfte lernen, wie Song verdeutlichte.

 

 

Die zunehmende Digitalisierung bietet mit „Virtual Reality“-Anwendungen (VR) interessante Möglichkeiten für die Markt- und Sensorikforschung, um Produkttests noch realitätsgetreuer durchführen zu können. Dass hierbei eine detaillierte Testkonzeption erfolgsentscheidend ist, erläuterte Prof. Dr. Andreas Scharf von der Hochschule Nordhausen. Anhand durchgeführter Projekte zeigte er, dass eine hohe externe Validität, also Generalisierbarkeit der Testergebnisse, vor allem von der Auswahl einer zu den Test-Stimuli passenden virtuellen Testumgebung abhängt. Seine mit der isi GmbH Göttingen durchgeführten Projekte verdeutlichten, dass der Einsatz von VR-Brillen bei Produkttests viele Vorteile bietet. Denn sie versetzen den Tester stärker in die reale Nutzungssituation. Während bei Non-Food Artikeln bereits sehr gute Erfahrungen zu verzeichnen sind, besteht bei Geschmackstests mit Lebensmitteln noch Forschungsbedarf, da hier durch die VR-Brille unter anderem die zwingend erforderliche visuelle Dimension fehlt.

 

Fazit

Die digitale Transformation bietet viele Möglichkeiten, die Innovationszyklen von Produkten zu verkürzen, indem Kundenbedürfnisse in Bezug auf die Produkteigenschaften in zeitlich engen Abständen mit hoher Präzision erhoben werden können. Für das Produktmanagement ist diese Entwicklung besonders hilfreich, da Rohstoffaustausche oder Zutatenreduktionen immer wieder erforderlich sind. Online-Tools und Social Media bieten Unternehmen interessante Möglichkeiten, sich für die digitale Zukunft fit zu machen.

Roland Sossna / moproweb

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