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Interview mit Dr. Ulrich Nehring

Datum: 2019-06-14 09:00:00Quelle: Ekosem-Agrar

Dieses Interview wurde nicht von der Redaktion geführt, sondern über eine Presseagentur zugeliefert.

 

 

Babynahrung ist eines der am stärksten kontrollierten Lebensmittel. Schadstoffe können auf sehr unterschiedlichen Wegen in Babykost gelangen. Daher haben die Hersteller eine Kontrollkette über alle Produktionsschritte und Ebenen installiert, beginnend beim Landwirt mit der Kontrolle der Futter- und der Düngemittel sowie des Saatgutes, über die Analyse der Rohstoffe wie Milch, Getreide oder Gemüse bis hin zur Kontrolle des Endproduktes. Herr Dr. Nehring, könnten Sie uns kurz darstellen, welche Schadstoffe die chemischen Analysen umfassen?

Säuglinge und Kleinkinder zählen zu den besonders empfindlichen Verbrauchergruppen, weil ihr Körpergewicht gering ist und die Ernährung normalerweise nicht so abwechslungsreich gestaltet werden kann wie bei jugendlichen oder erwachsenen Verbrauchern. An die Sicherheit von Babynahrung werden deshalb besondere Anforderungen gestellt. Grenzwerte für potentielle Schadstoffe in Babynahrung sind deshalb häufig tiefer als für andere Lebensmittel.

Um diese hohen Anforderungen erfüllen zu können, werden für Babynahrung meistens Rohstoffe aus einer kontrollierten, spezifischen Erzeugung verwendet. Bei Obst, Gemüse und Getreide wird auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weitgehend verzichtet. Fleisch wird von Tieren gewonnen, die, wenn möglich, ohne den Einsatz von Tierarzneimitteln gehalten wurden.

Alle Rohstoffe werden vor ihrer Verwendung besonders intensiv untersucht. Dabei wird vor allem auf Umweltkontaminanten wie z.B. Schwermetalle oder Dioxinegeprüft. Außerdem werdenUntersuchungen auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln und Tierarzneimitteln durchgeführt.

Bei der Verarbeitung der Lebensmittel werden besonders hohe hygienische Standards eingehalten und regelmäßig überprüft, um das Vorhandensein von gesundheitlich bedenklichen Mikroorganismen auszuschließen und auch einen Eintrag von Desinfektionsmitteln oder Stoffen, wie Weichmachern oder Schmiermitteln, die aus den Produktionsanlagen auf die Lebensmittel übergehen können, zu vermeiden.

Die Verpackungen, die für Babynahrung und andere Lebensmittel verwendet werden, werden vor ihrem Einsatz auf mögliche Stoffübergänge geprüft. Nur wenn die strengen gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden, dürfen die Verpackungen auch eingesetzt werden.

Schließlich erfolgt auch an der fertig hergestellten und verpackten Babynahrung noch eine Reihe von Untersuchungen. Es werden z.B. zusätzliche Untersuchungen auf Weichmacher und Mineralölkohlenwasserstoffe, die aus Produktionsanlagen oder der Verpackung stammen können, durchgeführt.

Bei Bewertungskriterien diverser Tests (z.B. Ökotest, Stiftung Warentest), wird auf PVC/PVDC chlorierte Verbindungen in Deckeldichtungen geachtet und das Vorhandensein als Abwertung eingestuft. Auch Verbraucher, insbesondere Eltern, reagieren zunehmend sensibel auf Schadstoffe in Verpackungen. Zum Teil stecken in den Materialien Substanzen, die in die verpackten Lebensmittel übergehen können und so in den Organismus gelangen. Artikel drei der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, schreibt zwar vor, dass diese „ausreichend inert sein müssen, damit ausgeschlossen wird, dass Stoffe in Mengen, die genügen, um die menschliche Gesundheit zu gefährden oder eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung von Lebensmitteln oder eine Beeinträchtigung ihrer organoleptischen Eigenschaften herbeiführen, in Lebensmittel übergehen“. Dennoch findet dieser als Migration bezeichnete Vorgang häufig statt. Welche Stoffe sind dies und welche gelten oder könnten als bedenklich gelten?

Tatsächlich findet ein Stoffaustausch unvermeidbar immer dann statt, wenn zwei Materialien, also hier das Verpackungsmaterial und das Lebensmittel in Kontakt stehen. Eine Migration von Stoffen gibt es deshalb immer dann, wenn sich Lebensmittel in einer Verpackung befinden oder mit Gegenständen wie Geschirr oder Kochgeräten in Kontakt kommen. In praktisch allen Verpackungsmaterialien gibt es also Stoffe, die auf Lebensmittel übergehen können. Ob es sich bei einem Stoff um einen „Schadstoff“ handelt, hängt in der Regel von der Menge ab, die ein Mensch von diesem Stoff aufnimmt. Das Gesetz trägt diesem natürlichen Umstand Rechnung, indem es fordert, den Stoffübergang aus Verpackungen auf Mengen zu beschränken, die nicht die Gesundheit gefährden, die Zusammensetzung des Lebensmittels nicht unvertretbar verändern und Aussehen, Geschmack und Geruch des Lebensmittels nicht nachteilig verändern. Außerdem muss bei der Verpackung von Lebensmitteln durch den Hersteller der Verpackung aber auch durch denjenigen, der das Lebensmittel in die Verpackung abfüllt, die „Gute Herstellungspraxis“ angewandt werden, um jeglichen Stoffübergang aus der Verpackung auf das technisch mögliche Maß zu beschränken. Hersteller sind also durch das Gesetz verpflichtet, ihre Verfahren ständig der technischen Entwicklung anzupassen.

Für Stoffe in Verpackungen, die aufgrund ihrer Eigenschaften zum Schutz der Gesundheit nur in beschränkten Mengen über Lebensmittel aufgenommen werden dürfen, gibt es in den gesetzlichen Anforderungen an Verpackungen strenge Grenzwerte. Dies gilt z.B. für viele Schwermetalle oder eine große Zahl von Stoffen, die für die Herstellung von Kunststoffen benötigt werden, z.B. bestimmte Weichmacher oder der Ausgangsstoff für PVC, das Vinylchlorid. Verpackungsmaterialien müssen regelmäßig auf die Einhaltung dieser Grenzwerte überprüft werden.

Auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überarbeitet und ergänzt der Gesetzgeber die Liste der Grenzwerte ständig. Die gesetzlichen Regelungen für Kunststoffe, die dazu bestimmt sind mit Lebensmitteln in Kontakt zu kommen, enthält eine Liste mit ca. 900 Stoffen, die für die Herstellung dieser Kunststoffe verwendet werden dürfen. Für den überwiegenden Teil dieser Stoffe gibt es auch ein sogenanntes spezifisches Migrationslimit, also einen Grenzwert, der nach Stoffübergang in Lebensmitteln nicht überschritten werden darf. Es gibt gegenwärtig verschiedene Klassen von Stoffen, die in Verpackungsmaterialien vorkommen, und für die eine hinreichende wissenschaftliche Grundlage zur Festlegung sinnvoller gesetzlicher Grenzwerte noch nicht verfügbar ist, z.B. Mineralölkohlenwasserstoffe (MOSH/MOAH) oder einige hormonähnlich wirkende Stoffe. Für solche Stoffe müssen die nachdem Stand der allgemein anerkannten Wissenschaft sicheren Grenzen eingehalten werden.

Es heißt, dass ein verpacktes Lebensmittel nur so hochwertig sein kann wie seine Umverpackung. Möglichen Schadstoffbelastungen, die den vielen Vorteilen von Plastik – z.B. guter Schutz vor Keimen und Bakterien oder luftdichter Abschluss von der Außenumgebung – gegenüberstehen, kann man aber durch die richtige Wahl der Verpackung begegnen. Welche Verpackungsmaterialien enthalten keine Schadstoffe und geben Verbrauchern die Sicherheit, ihren Kindern wirklich gesunde Nahrung zu geben?

Alle Verpackungen, die im Kontakt mit Babynahrung und anderen Lebensmitteln verwendet werden sollen, dürfen keine Stoffe an das Lebensmittel in Mengen abgeben, die die Gesundheit von Verbrauchern gefährden können. Dies gilt ganz unabhängig von dem Material, aus dem die Verpackungen hergestellt sind.

Für pasteurisierte oder sterilisierte Babynahrung eignen sich Glasverpackungen mit P/T-Verschlüssen ganz besonders, weil die Lebensmittel vor mikrobiellem Verderb und Oxidation geschützt und ohne Kühlung lange haltbar sind, ohne ihre wertvollen Eigenschaften zu verlieren. Glasverpackungen zeichnen sich außerdem durch besonders geringe Stoffübergänge auf Lebensmittel aus und können ebenso wie die Metallverschlüsse hervorragend recycliert werden. Die Verpackungsabfälle belasten deshalb nicht unsere Umwelt.

Wer auf PVC in der Verpackung von Babynahrung verzichten will, kann auf Verpackungen zurückgreifen, die mit einem modernen Metallverschluss mit PVC-freier Dichtungsmasse ausgestattet sind. Solche Verschlüsse sind nicht nur PVC-frei, sie enthalten außerdem in der Dichtungsmasse auch keine Weichmacher. Oft erkennt man als Verbraucher diese Verschlüsse an einem entsprechenden Werbeaufdruck, der sich auf der Außenseite des Verschlusses oder auf dem Etikett befindet.

Dass ein Lebensmittel oder Babykost PVC-frei verpackt ist, kann man i.d.R. nicht gleich erkennen, denn eine Kennzeichnungspflicht gibt es nicht. Bei Metall-Vakuum-Verschlüssen oder P/T-Verschlüssen kann man es nach dem Öffnen u.U. an einer anderen Färbung des Dichtungsrings erkennen, z.B. blau, aber auch das ist nicht Pflicht. Sollte man aus Ihrer Sicht hier mehr Informationen am Deckel oder Glas anbringen?

Es ist Aufgabe der Lebensmittelunternehmer (Hersteller von Lebensmitteln und Verpackungen), des Gesetzgebers und der Überwachungsbehörden, geeignete gesetzliche Regelungen zu schaffen und auch einzuhalten, um Verbraucher ausreichend vor gesundheitlichen Gefahren und nachteilige Beeinflussungen von Lebensmitteln durch Stoffübergänge zu schützen. In der EU und ganz besonders in Deutschland haben wir ein gut funktionierendes System des Verbraucherschutzes, auf das sich jeder Verbraucher verlassen kann. Natürlich gibt es wie überall auch in diesem Bereich Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Verbesserung, an denen von allen Beteiligten auch ständig gearbeitet wird.

Um Verbrauchern eine Wahl zwischen PVC-basierten und PVC-freien Gläserverschlüssen zu ermöglichen, kann eine freiwillige Kennzeichnung allerdings sinnvoll sein.

Dr. Ulrich Nehring ist Staatl. geprüfter Lebensmittelchemiker, Sachverständiger für Handels- und Lebensmittelchemie, ehemaliger Wissenschaftlicher Leiter des Institut Nehring (heute Eurofins).

 

Moproweb / moproweb

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