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Milcherzeugung 2022

Datum: 13.01.2023Quelle: VMB

„Was für ein Jahr“ könnte die Überschrift für das eben zu Ende gegangene 2022 lauten. Rückblicke wurden bereits einige vorgenommen, auf historische Entwicklungen ohne Blaupause, verbunden mit der Frage, ob auch im Bereich Lebensmittel im Allgemeinen und in der Milcherzeugung im Speziellen endlich eine Zeitenwende eingetreten ist. Oder ob bisherige Probleme sich quasi in Luft aufgelöst haben, aber ganz neue Herausforderungen auftauchen. Was bleibt also von 2022 in Erinnerung? Die Milchpreise, getrieben von explosionsartig gestiegenen Preisen für Energie und Betriebsmittel, einer weltweit hohen Nachfrage und einer ebenso weltweit nur moderaten Anlieferung, erreichten mit um die 60 Cent/kg auch in Bayern Sphären, die angesichts eines jahrelangen Kampfes um den ein oder anderen Cent fast einer „Mondlandung“ gleichkamen. Mehr als 30 Jahre Milchquote oder auch manch gut klingendes, „als einzige Lösung“ verkauftes Steuerungskonzept von Interessenverbänden haben nicht geschafft, was scheinbar so leicht binnen eines Jahres am Markt umgesetzt werden konnte. Allerdings begleitet von äußeren Umständen wie die Pandemie und den Krieg in der Ukraine, die für jede Lebenslage eine Herausforderung darstellte.

Viele Milchbauern durften endlich durchatmen, durften auch einmal das Wort „zufrieden“ und „Melken macht Spaß“ in den Mund nehmen. Dass seit Herbst die Milcherzeugung auch in Bayern wieder zugelegt hat, trotz Rückgang bei den Kuhzahlen, darf deshalb nicht verwundern. Ungeachtet möglicher Folgen wollten viele die guten Milchpreise mitnehmen. „Melken auf Sicht“ war angesagt, was einzelbetrieblich keine falsche Entscheidung ist. Und trotzdem kommt landauf landab nicht überall wirkliche Freude auf. Diese gedrückte Stimmung den Medien und der Öffentlichkeit darzulegen, gestaltet sich durchaus herausfordernd. Und die Perspektive? Unabhängig von der aktuellen Preisentwicklung haben viele Milcherzeuger ihre einzelbetriebliche Entscheidung bereits getroffen: Die Gefahr eines nie dagewesenen Strukturbruches nach „Vorbild“ Schweinesektor ist unverändert hoch. Der Rückgang bei Produktion und Verfügbarkeit von Rohmilch könnte auch bei Milchpreisen von notwendigen 50 Cent und mehr ein größeres Ausmaß annehmen – und das ist keine verbandliche Schwarzmalerei. Betriebe hören auf oder gedenken aufzuhören, trotz bester Voraussetzungen für die Weiterführung. Auch gesellschaftlicher Druck und „life balance“ spielen hier eine Rolle. Kaum jemand baut derzeit um, baut neu und stockt auf. Das liegt vor allem an den unverändert unsicheren politischen sowie wirtschaftlichen Aussichten in Verbindung mit horrenden Baukosten. Und über den derzeit 60 Cent schwebt eine von viel Ideologie getragene Politik der Ampelkoalition. Erinnert sei vor allem an die Einschränkungen bei Düngung und Pflanzenschutz, weitere Verschärfungen von Auflagen für Silo und Güllelagerung, aktuell wieder bei Emissionen oder das neue Tierarzneimittelgesetz. Im Rinderbereich sei an die Erhöhung des Transportalters für Kälber mit zwar begrenzten Auswirkungen auf den Standort Bayern mit einem hohen Anteil an Zweinutzungsrassen erinnert, ebenso an die Einschränkungen beim Export von Zuchttieren in Drittländer. Und diese Zermürbetaktik trägt das politische Oberziel „Reduzierung der Tierbestände“. Fatal für den Standort Bayern mit seinen relativ kleinen Strukturen und der Abhängigkeit von „Veredelung“ über den Tiermagen. Das Damoklesschwert Anbindehaltung steht wenig konkret, aber ebenso bedrohlich im Koalitionsvertrag: „Anbindehaltung ist zu beenden“! Ob das „nur“ die ganzjährige meint oder auch die für Bayern existenzielle Kombihaltung einschließt, bleibt offen, zumindest bis auch dieses Eisen auf die politische Agenda gesetzt wird.

Dazu ein Lebensmitteleinzelhandel, dessen Gier nach Marktanteilen und Marge zwar vom Verbraucher durch dessen Konsumverhalten etwas eingebremst wurde, der sich aber immer neue Ideen für sein Image „günstig & gut“ und als „Inflationsbremse“ einfallen lässt. Das alles wird die Kosten für die Milcherzeugung hochhalten, zumal auch bei den ehemals vornehmlich „billigen“ Eigenmarken des LEH weiter ganz kräftig an den Anforderungen und Standards gedreht wird. Auch hier eine bedenkliche Situation: In Verbindung mit dem Trend einer Abkehr der Nachfrage von Marken- und Bioprodukten oder regionalen Herkünften hin zu den Eigenmarken treibt der Handel ein abstruses Spiel. Die Standards im Bereich Tierwohl, Nachhaltigkeit und Klima werden sukzessive heraufgesetzt: Bei den Anforderungen sich gegenseitig überbieten, wobei ein Teil der Milcherzeuger den dafür gewährten Obulus gerne mitnimmt, und bei der Bezahlung sich sogar unterbieten: Keine guten Aussichten nach wie vor, trotz hoher Milchpreise! Auch wenn es verbandliche Aufgabe ist, auch Zuversicht zu verbreiten und Perspektiven aufzuzeigen und diese für den Landwirt als Unternehmer einzufordern. Aber es gilt auch einen knallharten Realismus an den Tag legen: Denn bezahlen müssen „Lebensinvestitionen“ unter diesen vielen unsicheren Vorgaben letztendlich die Landwirte allein. Wer hätte solche Fragen bei einem Milchpreis von 60 Cent erwartet? Das Wort des Jahres “Zeitenwende” trifft  vollumfänglich auch das Umfeld der Milcherzeugung zu. Nichts gegen bessere Zeiten, aber sind diese zukünftig auch kalkulierbar(er) – oder bleiben sie weiter “verrückt”?

Dr. Hans-Jürgen Seufferlein / VMB

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