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Steigende Preise – Zeitenwende am Milchmarkt?

Datum: 08.07.2022Quelle: VMB

Es ist noch gar nicht so lange her: Auf dem Höhepunkt einer massiven Milchkrise 2015/2016 mit 18 (!) Milchpreisrücknahmen in Folge drückte der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Verbraucherpreise für Trinkmilch auf ein unvorstellbar unmoralisches Niveau: Vollmilch von 59 Cent auf 46 Cent, fettarme Milch von 55 auf 42 Cent. Zudem wurde Butter von 75 auf 70 Cent/250 g zurückgenommen. Die Milchpreise in Bayern hatten mit knapp über 25 Cent im Juni 2016 ihren Tiefpunkt, stiegen nur langsam wieder an. Im Herbst musste dann der LEH die Preise für seine Eigenmarken Trinkmilch wieder erhöhen, Trinkmilch kostete fortan 60 (fettarm) und 65 Cent/l (Vollmilch). War damals ohne Frage ein gravierendes Marktungleichgewicht von Angebot und Nachfrage die vorherrschende Ursache für dieses existenzbedrohende Dilemma, liegt jetzt eine vollkommen andere Situation vor – mit einem Bündel von Ursachen, vielen offen Fragen, fast unmöglichen Prognosen. Und einer Zeitenwende am Milchmarkt auch für die Milcherzeuger?

Zum Monatsbeginn ist es so gekommen, wie durch die Marktentwicklung vorherzusehen war: Mit den neuen Kontrakten zwischen Molkereien und dem LEH für die Produkte der weißen Linie, zu der neben der Konsummilch noch Quark/Topfen, Kondensmilch, Sahne usw. gezählt werden, sprangen auch der Endverbraucherpreise (EVP) historisch nach oben: Vollmilch der Eigenmarken liegt erstmals über 1 Euro/Liter. Branchenprimus Aldi hat am 30. Juni die neuen Preismarken für die kommenden Monate gesetzt: Der Liter Vollmilch mit 3,5 % Fett der Eigenmarke “Milsani” wurde um 17 Cent angehoben, liegt jetzt bei 1,09/ l. Damit haben sich die EVP seit Ablauf des alten Kontraktes um den Jahreswechsel 2021/2022 bei Vollmilch von damals 80 Cent/l, nach mehreren, vom VMB beschriebenen Preisanhebungen “außerhalb der Reihe”, um stolze 29 Cent erhöht.

Nachdem die Butterpreise infolge sehr kurzfristiger Kontrakte zuletzt quasi im Monatstakt preislich nach oben angepaßt werden konnten und auch das Sortiment Standardkäse Mitte Mai kräftig nachlegen konnte, war jetzt endlich auch die weiße Linie an der Reihe, Mediale Aufmerksamkeit finden dabei immer besonders die Eigenmarken des LEH bei Konsummilch, bei denen in der Vergangenheit um und mit jedem Cent Wettbewerb betrieben wurde – letztlich auf dem Rücken der Milcherzeuger. Trotz des bekannten Gegendrucks des LEH, namentlich vor allem von EDEKA-Chef Markus Mosa, war nun nur noch dieses eine Ventil möglich: Die exorbitanten Kostenexplosionen auf Erzeuger- und Verarbeiterseite, nochmals massiv forciert durch den Konflikt in der Ukraine, wurden hinlänglich beschrieben. Zudem ist die Milchanlieferung nach wie vor, nicht mehr nur in Bayern, unter dem Durchschnitt. Deswegen mussten jetzt auch bei der Konsummilch und weiteren Produkten zwangsläufig die Preisdämme nach oben brechen.

Wie sehen nun die neuen EVP der Eigenmarken für die Frisch-, ESL und UHT-Milch im gesamten LEH aus? Die Preise für die Vollmilch stiegen von zuletzt 92 Cent auf jetzt 1,09 Euro/l. Die fettarme Variante macht einen nicht minder großen Sprung von 84 Cent auf jetzt 99 Cent. Auch die zahlreichen Sondermilchen bei Aldi machten einen kräftigen Preissprung: So katapultierte der Preis für Weidemilch von zuletzt 1,15 auf jetzt 1,45 Euro, die fettarme Variante von 1,09 auf 1,35 Euro/l. Und auch die als “Landmilch Fair & Gut” bei Aldi gelistete Sondermilch mit dem Label des Deutschen Tierschutzbundes legte von 1,39 Euro (Vollmilch) bzw. 1,29 Euro (1,5 % Fett) um etwa 30 Cent zu. Besonders aber die Eigenmarken der Biomilch wurden kräftig verteuert: Bisher waren die Kartons mit Vollmilch für 1,15 und für fettarme Variante für 1,09 Euro/l zu kaufen. Die neuen Preismarken lauten nun 1,69 und 1,59 Euro/l, ein Aufschlag von 50 Cent/l.

Erwähnenswert die besondere zeitliche Entwicklung beim Quark/Topfen: Bereits Mitte Juni machten Meldungen aus dem Norden die Runde, wonach einzelne Akteure des LEH, namentlich Edeka, Rewe und Penny, ihre Preise für Quark aller Fettstufen, Früchtequark und auch Kräuterquark zum Teil massiv angehoben haben. Der 500 g Magerquark, der kürzlich bereits um wenige Cent angepasst wurde, machte einen Sprung von 95 Cent auf 1,39 Euro. Und der 250 g Quark mit Fettstufe 40 Prozent stieg von bisher 59 Cent auf 99 Cent. Erstaunlich und auch ungewöhnlich, dass die großen Discounter, von Aldi (Süd) bis Lidl, außer beim Früchte- und Kräuterquark, diese Preisanhebung erst zum Monatsbeginn vollzogen, exakt auf die „Vorgaben“ von Edeka und Co.!
Wie sich die erfreulichen Entwicklungen insgesamt und speziell für die Milcherzeuger auswirken, bleibt eine spannende Frage. Wie schnell „gewöhnt“ sich die Verbraucherschaft an die neuen Preise, gibt es eine Konsumbewegung, weg von Regional-, Bio- und Markenprodukten, hin zu den billigeren Eigenmarken?  Gerade die Reaktion auf den gewaltigen Preissprung von jeweils über 50 Cent/l bei der LEH-Eigenmarke Biomilch verspricht Spannung beim Absatz.  Der Verbraucherschaft bleibt zu wünschen, dass jetzt nicht mit einem völlig verändertem Kaufverhalten reagiert wird, wollen sie weiter und „nachhaltig“ nicht nur qualitativ hochwertige, sondern auch regionale, mit einem mehr an Tierwohl und den gesellschaftlich gewünschten Umweltauflagen erzeugte Produkte im Regal finden.

Auch wenn eben vom LEH festgelegte EVP noch lange keine Erzeugerpreise sind: Dass die Lebensmittelpreise zum Teil deutlich ansteigen mussten und wohl noch weiter müssen, damit auch die Erzeuger die dringend benötigten höheren Preise für Ihre Produkte bezahlt bekommen, darf in dieser Form offen formuliert werden. Sparpotentiale sind weder auf Erzeuger- noch auf Verarbeiterseite kaum mehr realisierbar. Im Gegenteil: Die dynamisch zunehmenden Auflagen erleben nur eine Entschleunigung. Die große Frage wird aber sein, welchen wirklichen Wert die demnächst „durchschnittlich Mitte 50 Cent“ Milchpreis für Milch konventionell und über 60 Cent für Biomilch unter dem ökonomischen Strich haben, angesichts weiter nicht wirklich unkalkulierbarer Betriebsmittelkosten.

Mit den endlich höheren Preisen für Lebensmittel und Erzeugerpreisen, für die sich die lange genau dafür kämpfende Landwirtschaft nicht „entschuldigen“ muss, treiben nicht nur die gesamte Branche, sondern auch die zahlende Verbraucherschaft ein weiteres Thema um: Mehr als 20 Mio. Menschen hierzulande sollen von einer Energiearmut bedroht sein, müssen neben zukünftig deutlich mehr als 10 Prozent für Lebensmittel wohl auch mehr als 10 Prozent des Nettoeinkommens für Energie aufwenden.  Um einen nicht gewollten sozialen Sprengstoff zu vermeiden, sind ein voller Magen und eben keine kalten Füße die Grundlage. Wer sich bei der Bewältigung dieser komplexen Herausforderungen nur auf ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage am Markt beschränkt, denkt hier wohl zu kurz! Sicher dürfte sein, dass die Zeiten vorbei sind, in denen beim lebensnotwichtigen täglichen Bedarf alles (k)einen Preis, aber nichts einen Wert(schätzung) hatte.

Dr. Hans-Jürgen Seufferlein / VMB

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