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Vollständig künstliche Milch bleibt eine Utopie

Datum: 25.11.2020Quelle: molkerei-industrie / Prof. Ederer

 

 

 

In seinem Vortrag anlässlich der Jahrestagung des EU-Milchindustrieverbandes EDA (European Dairy Association) ging Prof. Peer Ederer, Director Global Food and Agribusiness Network, auf eine sich möglicherweise entwickelnde Konkurrenz zur Milchwirtschaft durch fermentativ hergestellte Milchbestandteile ein. Die Protagonisten dieser Fermentationstechnologien (Precision Fermentation) gehen davon aus, dass um das Jahr 2030 herum die konventionelle Milcherzeugung abgelöst werden kann. Ederer nahm in seinem Vortrag dazu eine konträre Stellung ein, zum Beispiel was die zur Produktion benötigten Flächen angeht. Die Redaktion hat Prof. Ederer um eine nähere Erläuterung gebeten:

 

Die direkte Herstellung von Proteinen durch Mikroben, also z.B. wie für Quorn oder methanotrophe Bakterien, ist extrem platzsparend, weil das Mikrob selbst das Protein ist. Man würde nur ein paar tausend Hektar Werkfläche benötigen um das entsprechende Proteinäquivalent der globalen Milchproduktion herzustellen. Allerdings sind diese in Bioreaktoren hergestellten Proteine deutlich teurer in der Herstellung als tierbasierte Proteine, obwohl die Technologie bereits seit Jahrzehnten im Einsatz ist. Eine nennenswerte Kostendegression konnte noch nicht erzielt werden. Auch sind die biologischen Prozesse selbst nach fast 50 Jahren Anwendung nicht vollständig verstanden.

 

Präzisionsfementation ist ein noch ungleich schwierigerer Prozess, denn hier werden die Mikroben mit einer GMO DNA-Matrix benutzt um Proteine herzustellen. Wie gut das “at scale” funktioniert, ist meines Wissens nach noch nicht bekannt. Das kalifornische Unternehmen Pefect Day beginnt das ja gerade erst in noch immer recht kleinem Maßstab. Dieses Start-up hat circa die Hälfte aller VC-Gelder in diesem Bereich bekommen, und ist am weitesten in der Entwicklung. Dennoch, wo auch immer wir da letztendlich landen, wir können wohl schon davon ausgehen, dass die benötigte Werkfläche am Ende nicht überwältigend sein wird. Ob wir allerdings mit diesem Prozess jemals Price-Parity mit der konventionellen Milcherzeugung erreichen können, bin ich äußerst skeptisch. Die Energiebilanzen, die ich bisher gesehen habe, geben keinen Anlass zur Hoffnung.

 

Aber – und das ist das größte Problem: PF-erzeugte Proteine sind letztlich homogene single-kind Ingredients. Wenn alle diese Ingredients zusammen gebracht werden müssen, um die komplexe Interaktion aus Lipiden, Proteinen und weiteren Bestandteilen zu replizieren, die ein natürlich produziertes Produkt auszeichnet, inklusive aller natürlichen Variabilität – dann reden wir von gigantischen biochemischen Prozessanlagen, um ein wirklich natur-identisches Produkt zu erhalten. Meine Schätzung der entsprechenden Werkfläche, die so groß wie Europa wäre, ist abgeleitet von entsprechenden Anlagen der Präzisionschemie, insbesondere wieviel Fläche man dort benötigt um hochkomplexe Moleküle zu erstellen.

 

Dies wirft eine ernährungsphilosophische Frage auf: Braucht es für eine gesunde Ernährung die natürliche Varianz und komplexe multi-elementare Molekülstrukturen, die in natürlicher Produktion entstehen, oder können wir Ernährung nur auf ihre Einzelbestandteile reduzieren, und diese dann einzeln bereitstellen? Die Antwort ist meines Wissens noch nicht bekannt, weil sich entsprechende Langzeit-Menschenexperimente verbieten. Aus der Intensivtierhaltung wissen wir allerdings, dass eine rein synthetisierte Ernährungskomposition den Tieren auf Dauer nicht gut bekommt. Und es gibt auch genügend Hinweise, dass die starke Verbreitung der High-Processed Foods der letzten 40 Jahre (Margarine, Soft Drinks, Maisstärke in allem, etc.) ein wesentlicher Grund für die epidemische Ausbreitung von Obesitas und Diabetes ist. Wir sind doch gerade erst dabei  zu beginnen, das Biom unserer Darmflora zu verstehen. Wie reagiert ein Biom auf jahrelange Ernährung mit vollständig homogenenen Einzelproteinen aus Ultra-Processed Foods?

 

Daher meine Empfehlung: PF-erzeugte Proteine können fantastische Ingredients sein, mit denen sich Nahrungsmittel in Textur, Geschmack, Nahrhaftigkeit und Verarbeitbarkeit verbessern lassen. Aber eine Disruption oder gar Ersatz der Kuhmilcherzeugung sehe ich hier noch lange nicht.

 

Ich bin auch nicht der erste der fragt: warum stellt Perfect Day eigentlich Kuhmilch-Proteine her? Warum nicht Humanmilch-Proteine um einen noch besseren Muttermilchersatz zu erzeugen? Wenn diese Technologie so sicher und gesund ist wie behauptet, dann sollten wir sie doch für Säuglinge benutzen, um noch bessere Kleinkindernährung zu bekommen. Und wenn die Technologie doch nicht so sicher ist, warum sollten wir sie dann an Erwachsenen ausprobieren, und geschweige denn sie als Lösung für die Weltrettung propagieren?

 

Peer Ederer kann auf Linkedin kontaktiert werden. Weitere Informatioen stehen auf foodandagribusiness.org oder milchundklima.de bereit.

Roland Sossna / moproweb

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