10 9 2019 | moproweb.de
Es ist Zeit
zum Umdenken
Aussitzen beseitigt die Probleme nicht
mi | mi-Meinung
Roland Soßna
Redaktion
Mindestens 25
Einzelgespräche
mit Lebensmittel
konze rnen
und Agrar- und Wirtschaftsvertretern,
aber nur fünf Termine
mit Umweltverbänden und der
Öko-Landwirtschaft in der bisherigen
Amtszeit, daraus wollten
die Grünen einen Skandal
um Agrarministerin Julia Klöckner
machen. Die übliche Polemik
der Grünen, könnte man sagen,
und zur Tagesordnung übergehen.
Aber tatsächlich scheint
etwas falsch zu laufen bei der
Prioritätensetzung unserer
Landwirtschaftsministerin.
Spätestens der (diesmal berechtigte)
Skandal um Tierquälerei
auf einem Milcherzeugerbetrieb
im Allgäu zeigte
auf, dass zwischen politischer
Äußerung und politischer Tat
oft Welten klaffen. Angesichts
der Tatsache, dass die Zustände
auf dem besagten Hof den
Behörden längere Zeit bekannt
waren, diese aber nichts unternommen
haben oder unternehmen
konnten, hätte
alle Agrarpolitiker auf den Plan
rufen müssen, die sich zumindest
ihren Äußerungen nach
um Tierwohl sorgen. Also auch
Julia Klöckner als oberste agrarpolitische
Instanz dieses
Landes. Zugegeben hat Klöckner
nicht viel Einwirkungsmöglichkeiten
auf ein bayerisches
Veterinäramt, aber sie sollte
sich für eine bundesweite Vereinheitlichung
der Standards
für die Überwachung stark machen,
denn es geht um wirklich
wichtige Dinge. In einer Zeit,
in der NGOs ebenso wie linke
Parteien wütend auch und
besonders gegen die Milchwirtschaft
agitieren, dürfen
durch behördliche Untätigkeit
oder möglicherweise fehlende
gesetzliche Möglichkeiten zum
Einschreiten nicht auch noch
zusätzliche Argumente gegen
den Mopro-Konsum produziert
werden. Deutschlandweit
einheitliches Praktizieren von
Tierwohl und eine ebenfalls
einheitliche Kontrolle der Standards
sind überfällig.
Das Staatliche Tierwohllabel
wird hierbei nur bedingt helfen
können. Denn es setzt zunächst
ab 2020 nur bei der Schweinehaltung
an und ist damit irrelevant
für Milch. Das Ministerium
baut auf Freiwilligkeit, will aber
Verstöße gegen die Vorgaben
sogar mit Strafen bis hin zum
Gefängnis Belegen. Ob sich da
genügend Erzeuger begeistern
lassen, muss sich zeigenUnd ob
das Siegel jemals auf Milch ausgedehnt
wird, ist offen. An sich
braucht die Branche es auch
nicht, das Tierwohl wird in QMMilch
bereits gelebt.
Im Bereich des Tierwohls ist
Klöckner also durchaus Versäumnis
anzulasten. Dies gilt
auch für die Kennzeichnung
des Nährwerts. Während das
Ministerium erst in diesem Monat
eine Auswertung mehrerer
Kennzeichnungsmodelle, angereichert
mit den Ergebnissen
einer Verbraucherbefragung
vorlegen und danach überlegen
will, was zu unternehmen
ist, setzen Konzerne wie Nestlé
oder Danone einseitig mit dem
Nutri-Score den Standard. Offenbar
hat Klöckners viel kritisiertes
Tête-à-Tête mit dem
Nestlé-Deutschlandchef Marc-
Aurel Boersch wenig geholfen,
um eine für den gesamten Lebensmittelsektor
geeignete
und praktikable Lösung zustande
zu bringen. Mehr als Niceties
und Lob für Nestlés Bemühungen
zur Reduktion dickmachender
Zutaten war das auf Video
gebannten Treffen ja nicht
– dass die gesamte Lebensmittebranche
seit Langem
ebenfalls am gleichen Strang
zieht, kam nicht zum Ausdruck.
Zögerliches Herangehen, Aussitzen
nach Manier Merkels,
der großen Mäzenin Klöckners,
wird nun möglicherweise dazu
führen, dass natürliche/naturbelassene
Produkte wie die
meisten Milcherzeugnisse dem
nicht informierten Verbraucher
in puncto Nährwert den
Kunstkonstrukten der Multis
unterlegen erscheinen werden.
Nebenbei bemerkt ist es nicht
oft der Fall, dass diese Redaktion
einmal die Auffassung einer
Organisation wie foodwatch,
wenn auch höchst ungern, teilt.
Wie in allen Politikbereichen
ist es auch beim Verbraucher-
und Tierschutz an der Zeit für
einen wirklichen Aufbruch, das
Abschütteln von Ideologie und
für die Erarbeitung wirklicher,
auch einmal mutiger Lösungen,
auch wenn der Föderalismus
im Wege steht. Roland Soßna
fragt sich, ob die amtierende
Koalition dazu die Kraft und die
Einsicht hat …