5 2020 | moproweb.de 23
• Die Evaluation der Verbreitung dieses Videos zeigt, dass insbesondere
auf Twitter eine sehr hohe Interaktion stattfand. Bei
den meisten Krisenfällen ist Twitter einer der wichtigsten Kanäle
– für das Monitoring und die aktive Betreuung.
• Die starke Auseinandersetzung mit dem Thema hatte einen
Einfluss auf die Google-Rankings. Wer eine Zeit lang bei Google
„Milch“ eingab, den fragte die Suchmaschine, ob er nach „… ist
Gift“ recherchiere.
Nachdem sich die Wogen über den Beitrag etwas geglättet hatten,
tauchte die Frage auf, ob Unges Video möglicherweise nur
als Scherz gemeint war. In der öffentlichen Wahrnehmung macht
dies aber kaum einen Unterschied. Was in den Köpfen der Menschen
hängengeblieben ist, ist eben die vermeintliche Tatsache,
dass Milch Gift ist.
Social Media belohnt
Empörung mit Reichweite
Viel mehr als bei Branchenthemen stehen die Molkereien in der
Pflicht, Stellung zu beziehen, wenn das eigene Unternehmen oder
die eigenen Produkte kritisch hinterfragt werden. Online-Krisen
entstehen vor allem dann, wenn das Empörungspotential groß ist.
Besonders ist dies bei Tierschutzverstößen der Fall oder auch bei
Gewerkschafts-Konflikten. Auch unglückliche Formulierungen können
massive Empörung nach sich ziehen. Daher sollten Sie sich bei
Posts und Tweets unter anderem fragen: Enthalten diese Aussagen,
die als rassistisch oder sexistisch gewertet werden können? Wird
im richtigen Maß Empathie und Transparenz demonstriert? Immer
noch hängen manche Betriebe dem Irrglauben nach, dass dieses Risiko
nur für große Unternehmen der Branche besteht. Dabei hat sich
längst bestätigt, dass jede Molkerei – egal wie groß oder wie klein
– in eine mediale Krise schlittern kann und dass ausgerechnet die
kleinen Betriebe Gefahr laufen, Fehler zu begehen, die die Situation
verschlimmern.
Die Mechanik der sozialen Medien belohnt Empörung, und so
wundert es nicht, dass ein Shitstorm schnell aufgezogen ist. Wie
ein Schachspieler ein paar Züge vorausplant, müssen auch Unternehmen
in ihrer Kommunikation mehr Szenarien einkalkulieren als
je zuvor: Was löst welche Informationen bei welchen Gruppen aus?
Hauptgrund für Shitstorms:
unbedachte Wortwahl
Die Ursachen und Dynamiken von Shitstorms verstehen viele Unternehmen
auch deshalb so schlecht, weil sie nicht durch konkrete
Mängel ausgelöst werden. Nur in den seltensten Fällen ist es ein
Produktmangel, der für Empörung sorgt. Oder ein Verstoß gegen
Compliance-Regularien, der dazu führt, dass die Facebook-Seite
von Negativ-Kommentaren überflutet wird. Nein: Die meisten
Shitstorms werden durch etwas viel Banaleres ausgelöst: eine unbedachte
Wortwahl. Nivea etwa musste nach heftiger Kritik eine
Kampagne in den USA zurückziehen. „White is Purity“ plakatierte
das Unternehmen und zeigte sich doch überrascht, als der Vorwurf
rassistischer Werbung nicht lange auf sich warten ließ.
Dass die Empörung nach einer Äußerung so groß sein kann, liegt
an dem so genannten Robin-Hood-Effekt: Wenn sehr viele, an und
für sich machtlose Internetnutzer das Gefühl haben, ein Unternehmen
wird seiner Verantwortung nicht gerecht und missbraucht
seine (Markt-)Macht, schließen sie sich zusammen und werden dadurch
selbst mächtig. Dann springen die Medien auf den Zug auf.
Der Eklat breitet sich aus und erreicht auch diejenigen, die sich
konsequent dem Web 2.0 verweigern. Wenige Stunden reichen,
um einen langfristigen Reputationsschaden zu bewirken. Boykottaufrufe
können dafür sorgen, dass Absatz und Umsatz leiden.
Die richtige Sprache finden
Unternehmen, die erst einmal verstanden haben, dass eine falsche
Sprache Shitstorms entscheidend beeinflusst, haben bereits den
Schlüssel in der Hand, um ihn zu bewältigen: die Sprache. Wie das
geht, hat Barilla erfolgreich demonstriert. Zunächst hatte sich das
Unternehmen in die Bredouille gebracht, als Guido Barilla öffentlich
erklärte, seine Produkte seien für Familien, und Homosexuelle
könnten doch Nudeln anderer Hersteller essen. So unverständlich
die Aussagen von Barilla auch gewesen sein mögen, im weiteren
Krisenverlauf hat das Unternehmen sehr überlegt und klug agiert.
Guido Barilla hat die Kritik angenommen, statt um sich zu schlagen.
In einem Videostatement auf YouTube entschuldigte er sich
und räumte ein, noch viel über „die Entwicklung der Familie“ lernen
zu müssen. Innerhalb weniger Tage traf er sich mit Vertretern
der LGBT-Community und implementierte eine Reihe von zum
Teil auch sehr umfassenden Maßnahmen gegen Diskriminierung.
Heute zählt Barilla zu den Vorzeigeunternehmen, die sich, wie nur
wenige andere, um Inklusion und Diversität verdient machen. In
einer Situation, in der die kritische Öffentlichkeit ohnehin jedes
Wort auf die Goldwaage legt, ist es von entscheidender Bedeutung
zu überlegen, welche Wirkung die eigenen Äußerungen auf
den Adressaten haben. Fehleinschätzungen oder Ignoranz führen
andernfalls zu einer weiteren Eskalation.
Die richtige Sprache ist in der Krisensituation also entscheidend
– auch wenn eine Krise einen konkreten und handfesten Anlass hat.
Gerade auf diese Art von Ausnahmesituationen können sich Unternehmen
gut vorbereiten. Zu den typischen Risiken, mit denen
jedes Unternehmen konfrontiert ist, gehört der Produkt-Rückruf.
Dass sich eine Kunde verletzt, weil im Joghurt etwa Glassplitter enthalten
waren, ist nicht auszuschließen. Muster-Pressemitteilungen,
Ablaufpläne und Presseverteiler helfen, im Ernstfall den Überblick
zu bewahren. Neben diesen Branchenrisiken gibt es noch unternehmensspezifische
Risiken. Diese sind sehr individuell und können
Konflikte mit den Gewerkschaften umfassen, Kartellverfahren oder
auch ein Unfall in der Produktion. Aber nur wer seine Risiken kennt,
kann sich vorbereiten und weiß, wie er im Ernstfall vorgehen muss.
Neben der richtigen Sprache gibt es noch weitere Aspekte, die
in der Krisenkommunikation entscheidend sind: Authentizität,
Dialogbereitschaft, Transparenz. Wichtig zu wissen ist: Wenn die
Öffentlichkeit nicht den Eindruck gewinnt, dass diese Werte gelebt
werden, wird es nicht gelingen, die Berichterstattung positiv
zu beeinflussen. Deshalb ist es so fatal, wenn Unternehmen die
„Salami-Taktik“ wählen und nur die Versäumnisse einräumen, die
bereits bekannt sind. Damit wird jedes Vertrauen verspielt, und
um nichts anderes geht es in der Metaebene bei Krisenkommunikation:
Vertrauen.
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