Der Milchindustrie-Verband berichtet
aus seinen Arbeitsfeldern
„Buy EU“ oder „Bye-bye“
EU-Binnenmarkt
Unser Autor: RA Dr. Jörg W. Rieke, Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt des Milchindustrie-Verbandes
Die verpflichtende Herkunftskennzeichnung
8 10 2020 | moproweb.de
bei Lebensmitteln
war und bleibt auch
weiterhin eines der umstrittensten
Themen im EU-Binnenmarkt.
Auf Initiative des italienischen Landwirtschaftsverbands
Coldiretti, der bereits
früher durch nationalistische Äußerungen
und Aktionen gegen Lebensmittel aus anderen
EU-Mitgliedstaaten negativ in Erscheinung
getreten ist, wurde 2018 die
Europäische Bürgerinitiative „Eat ORIGINal!
Unmask your food.“ gegründet, die am
2. Oktober 2018 von der EU-Kommission
zugelassen wurde. Diese fordert die EUKommission
auf, eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung
für alle Lebensmittel
vorzuschreiben, um Betrug zu verhindern,
die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen
und das Recht der Verbraucher auf Information
zu garantieren.
Innerhalb eines Jahres, d. h. bis zum
2. Oktober 2019, hatte diese Bürgerinitiative
Zeit, mindestens 1 Million Unterschriften
in mindestens 7 EU-Mitgliedstaaten zu
sammeln. Obwohl die Zählung der Stimmen
nach der Verordnung (EU) Nr. 211/2011
über die Bürgerinitiative innerhalb von 3
Monaten abgeschlossen sein soll, liegt bis
heute, mehr als 10 Monate nach Abschluss
der Stimmensammlung, immer noch kein
offizielles Ergebnis vor, das der EU-Kommission
übermittelt wurde. Kontaktpersonen
der Initiative verweisen auf Nachfrage
lediglich auf die seit 20. Februar 2020 auf
der Homepage des Europäischen Wirtschafts
und Sozialausschusses veröffentlichte
Behauptung, dass die Initiative mehr
als 1,1 Millionen Unterschriften in allen 28
EU-Mitgliedstaaten gesammelt habe. Wenn
dieses Ergebnis bereits im Februar 2020
vorlag, stellt sich die berechtigte Frage,
warum dieses Ergebnis dann nicht fristgerecht
der EU-Kommission übermittelt
wurde. Sollte dieses Ergebnis tatsächlich
vorliegen, müsste die EU-Kommission innerhalb
von 3 Monaten nach Übermittlung
des Ergebnisses in einer Mitteilung ihre
rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen
zu der Bürgerinitiative sowie ihr
weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf
ein weiteres Vorgehen und die Gründe
hierfür darlegen.
Die EU-Kommission hat nach durchgeführten
Folgenabschätzungen zur verpflichtenden
Herkunftskennzeichnung in
ihren Berichten vom 20. Mai 2015 bereits
anschaulich dargelegt, dass eine verpflichtende
Herkunftskennzeichnung erhebliche
Auswirkungen auf den Binnenmarkt hätte.
Es käme zur Zersplitterung des EU-Binnenmarktes
und zu einer Renationalisierung.
Eine verpflichtende Herkunftsangabe
würde auch das Kaufverhalten dahingehend
beeinflussen, dass sich Verbraucher
verstärkt für lokale Erzeugnisse entscheiden.
Die Folge wäre ein „Lebensmittel-
Nationalismus“ und eine weitergehende
Marktsegmentierung und würde zu einer
Nationalisierung der Lebensmittellieferkette
führen. Die EU-Kommission ist daher
zu dem auch heute noch geltenden Schluss
gekommen, dass sich die freiwillige Herkunftskennzeichnung
bewährt habe und
das geeignete Mittel sei, um Verbraucherinformation
einerseits und den freien Warenverkehr
andererseits in einer Balance
zu halten.
Trotz dieser eindeutigen Worte haben in
diesem Sommer wieder einige EU-Mitgliedstaaten
durch protektionistische Maßnahmen
für Aufsehen gesorgt. So hat Polens
Regierung an die Bevölkerung appelliert,
polnische Ware in Zeiten von Covid-19 zu
kaufen. Oder es wurden auf der Homepage
des polnischen Landwirtschaftsministeriums
Molkereien an den Pranger gestellt,
die Milch aus anderen EU-Mitgliedstaaten
importiert hatten. Oder die Überlegung
in Tschechien, dass Händler verpflichtet
werden, im Jahr 2021 mindestens 55 % ihrer
Regalfläche für nationale Produkte zu
reservieren und diesen Anteil bis 2027 auf
85 % zu steigern. Ähnliche Überlegungen
wurden auch aus Rumänien und Bulgarien
bekannt.
/moproweb.de