mi | Interview
Kann eine Neugestaltung
der Lieferbeziehungen
Milchpreiskrisen in
Deutschland abwenden?
mi-Interview mit Prof. Dr. Sebastian Hess
Prof. Sebastian Hess: Das höhere Marktrisiko
des Spotmarkts wird mitunter
auch auf diejenigen Erzeuger umgelegt,
die selbst keine Wachstumsschritte in
ihrem Betrieb vollzogen haben (Foto: mi)
Der Lehrstuhl für Ökonomie der Milch- und Ernährungswirtschaft an der
Universität Kiel, eine Stiftungsprofessur mehrerer norddeutscher Unternehmen
des Agribusiness, hat eine groß angelegte Umfrage unter Milcherzeugern
angestellt, die insgesamt 1,2 Mrd. kg Rohstoff erfasst. molkerei-industrie
fragte Professor Dr. Sebastian Hess nach den tatsächlich in der Praxis
vorhandenen Wünschen für die Ausgestaltung von Lieferverträgen und den
Möglichkeiten zur Risikoabsicherung im Bereich der Milcherzeugung.
mi: Herr Prof. Hess, Sie haben eine große
Zahl von Milcherzeugern befragt: was wünschen
sich die Bauern im Hinblick auf ihre
Milchlieferverträge?
Hess: Wir haben in den Regionen Nordwest,
Süd- und Ostdeutschland insgesamt
780 zufällig ausgewählte Landwirte
befragt. Für ca. 40 % der Befragten steht
nach wie vor die Abnahme-Sicherheit eindeutig
im Vordergrund; d. h. sie wären an
22 1 2018 | moproweb.de
einer Lockerung der Andienungspflicht nur
interessiert, wenn die Abnahmegarantie
bestehen bleiben würde.
Die Zahl derjenigen, die hingegen einen
Teil ihrer Abnahmegarantie aufgeben würden,
um dafür freier an unterschiedliche
Molkereien andienen zu können, liegt in unserer
Befragung in Süddeutschland bei ca.
13 %, im Nordwesten bei ca. 27 % und im
Osten bei 33 %. Dies sind jedoch meist die
relativ großen Betriebe, d. h. der Wunsch
nach einer freieren Andienung betrifft in
jeder Region einen deutlich größeren Anteil
der Milch, als durch die jeweilige Zahl der
Betriebe zum Ausdruck kommt.
Innerhalb der Befragungsregionen zeigt
sich zudem, dass die Kündigungsfristen, zu
welchen Landwirte die Lieferbeziehung aufkündigen
können, von Molkerei zu Molkerei
zwischen wenigen Monaten und mehreren
Jahren schwanken. Dabei muss betont werden,
dass dies in der Regel nur ein einseitiges
Kündigungsrecht auf Seiten der Landwirte
beinhaltet, d. h. eine Verkürzung der gegenwärtig
herrschenden Lieferbeziehungen
würde in der Regel kein zusätzliches Risiko
für den Landwirt bedeuten, sofern Molkereien
nicht ebenfalls stärker in die Lage versetzt
würden, in Zukunft auch selbst aktiv
Kündigungen aussprechen zu können.
Unter den von uns befragten Landwirten
wünschen sich insbesondere diejenigen
kürzere Kündigungsfristen, für die es
gegenwärtig 20 Monate und mehr dauern
würde, bis sie in ein anderes Lieferverhältnis
wechseln können. Wer aktuell jedoch
eine Kündigungsfrist von gut einem Jahr
oder weniger hat, war gemäß unserer Befragung
wesentlich seltener an einer weiteren
Verkürzung interessiert.
Dabei scheint für einige Landwirte neben
der Hoffnung auf einen besseren Milchpreis
auch das Vertrauen in die Molkereiführung
und die Qualität der Kommunikation
ein wichtiger Grund für angestrebte
Molkereiwechsel zu sein. Molkereien, die