New Nutrition Business fragte Verbraucher weltweit, bei welchen Lebensmitteln sie
nicht sicher sind, ob diese als gesund einzustufen sind oder nicht. Häufig genannt
wurden Molkereiprodukte und Eier (Copyright: New Nutrition Business)
12 2018 | moproweb.de 19
Personalisierung:
Wo steht der Verbraucher?
Für Joana Maricato, Head of Market Research
bei New Nutrition Business und
eine von zehn Referenten des Innovationsgipfels,
seien viele Menschen längst
in der Personalisierten Ernährung angekommen:
„Verbraucher warten nicht
auf die neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnisse, um ihre ganz persönliche
Ernährungsform zu definieren. Im Gegenteil:
Personalisierung hat aus deren Sicht
nichts mit Wissenschaft zu tun. Es geht
vielmehr darum, sich einzigartig zu fühlen
und ein maßgeschneidertes Produkt
zu haben, das diese individuellen Bedürfnisse
bedient.“
Hinzu kommt, dass Verbraucher vielfach
das Vertrauen in die etablierten Meinungshoheiten
und ihre wechselnden Empfehlungen
zu gesunder Ernährung verloren
haben. Was gesund ist, scheint den Menschen
längst nicht mehr so klar zu sein wie
noch vor zwei Jahrzehnten – das betrifft
laut den Umfragen von New Nutrition Business
insbesondere Getreide- und Milchprodukte
sowie Eier. Zunehmend ersetzen
Apps, Social Media oder Internetplattformen
die klassischen Informationsquellen
wie Ernährungsberater oder Ärzte. „Wir
verzeichnen einen großen Vertrauensverlust
gegenüber Experten. Die Verbraucher
wollen endlich die Kontrolle darüber zurückerlangen,
was sie kaufen, essen und
wie sie leben“, so Maricato.
Populäre Empfehlungen
auf dem Prüfstand
Die regelmäßigen Kehrtwenden in Sachen
gesunder Ernährung fasste Prof. Manfred
J. Müller in seinem Vortrag zusammen.
„Die Ernährungsepidemiologie kann
ihre Aussagen nicht mehr halten“, so der
Kieler Gastroenterologe und Ernährungsforscher.
Insbesondere dem weit verbreiteten
Ratschlag, koronaren Erkrankungen
durch fettarme Lebensmittel vorzubeugen,
fehle schlicht die Evidenz. Wie populär
die Fettreduktion als Beitrag zu Herzgesundheit
und Gewichtsmanagement in der
westlichen Bevölkerung jedoch nach wie
vor ist, spiegelt sich im Handel in einer breiten
Palette fettreduzierter Lebensmittel
wieder – insbesondere bei den Molkereiprodukten
und Wurstwaren.
Das Dogma des ungesunden Fettes gehe
auf die Forschungen von Ancel Keys aus
den 1950er und 60er Jahren zurück. Doch
aus heutiger Sicht sei die Datenbasis der
Keys-Studien selektiv und unsauber gewesen,
so Müller. Damit die Ernährung tatsächlich
zum Werkzeug gegen wohlstandsbedingte
Krankheiten und Übergewicht
werden kann, bedürfe es einer kritischen,
wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit etablierten Ernährungsempfehlungen
– genauso wie mit neuen Konzepten wie der
Personalisierten Ernährung.
Low GI ist eine weitere populäre Ernährungsform,
die vor allem in den 1990er
Jahren den Weg in die Diätratgeber gefunden
hat. Die Idee ist, die Kohlenhydratzufuhr
vor allem auf solche mit niedrigem
glykämischen Index (GI) zu konzentrieren.
Der GI gibt dabei Auskunft, welche Blutzuckerreaktion
ein Lebensmittel auslösen
soll – ist die Maßzahl hoch, so steige der
Blutzucker nach dem Verzehr stark an und
falle anschließend schnell wieder ab. Dieser
„Boost & Crash“-Effekt gilt als kontraproduktiv
für den Energiestoffwechsel des
Körpers und sorgt dafür, dass schon kurze
Zeit nach der letzten Mahlzeit erneut Hunger
entsteht.
Die Vorstellung dass alle Menschen mit
denselben Blutzuckerwerten auf Lebensmittel
reagieren, sei inzwischen jedoch
durch Studien1 widerlegt, so Prof. Dr. Christian
Sina. „Die Frage ist also nicht: Was ist die
richtige Ernährung für den Menschen? Die
Frage muss lauten: Was ist die richtige Ernährung
für mich?“, so der Ernährungsmediziner
der Universität zu Lübeck. In seiner
Alpha-Studie mit kohlenhydratnormierten
Testmahlzeiten und kontinuierlicher Blutzuckermessung
zeigten sich bei den Probanden
völlig unterschiedliche Blutzuckerantworten:
So reagierten beispielsweise
einige Testpersonen nach Weißbrot mit einer
moderaten postprandialen Glukoseantwort
(PPGR)2, während der Blutzucker nach
1 Unter anderem: Zeevi, Korem et al.: Personalized Nutrition by Prediction of Glycemic Responses. In: Cell, Volume 163, Issue 5, 19 November
2015, p. 1079-1094.