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Kommunikation – Wirtschaft – Disruption

Datum: 22.10.2021Quelle: molkerei-industrie

 

 

 

Eingangs der Jahrestagung des Milchindustrie-Verbandes MIV am 22. Oktober in Hamburg gab der Vorsitzende Peter Stahl eine Standortbestimmung für die Branche. Die aktuelle Situation lasse sich am besten mit dem Akronym VUCA beschreiben: Volatilität, Unsicherheit, Mehrdeutigkeit von Entwicklungen, Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit. Niemand können mehr eine sichere Prognose für Preisentwicklungen vornehmen, das politische Umfeld biete Unsicherheiten zuhauf, und Gesetzestexte kämen jetzt schon auf 400 Seiten Umfang, führte Stahl an. Antworten auf die aktuell drängenden Fragen lägen in der Aufstellung von Zielen, dem Bemühen um Verstehen von Zusammenhängen, klaren Organisationsformen in den Unternehmen und schnellen Entscheidungen unter Einbeziehung derjenigen vor Ort, die wirklich etwas von den Dingen verstehen.

Stahl sieht einen Wendepunkt in der Entwicklung der Milchwirtschaft gekommen: die Spitze des Wachstums auf der Rohstoffseite sei erreicht, der Wettbewerb werde künftig nicht mehr von Kostenführerschaft entschieden, sondern über Differenzierung und Qualität. Es gelte für alle Unternehmen, margenschwache Geschäftsfelder zu verlassen. Eingehend auf die aktuelle Kostensteigerung in allen Bereichen, erklärte Stahl, dass die Branche auch mit hohen Milchpreisen zurechtkommt, um den Lieferanten ein gutes Auskommen zu sichern; dafür müssten jetzt aber auch „massive Preisanhebungen“ kommen. Kein Verständnis hat Stahl für einen Handel, der auf der einen Seite mit den Landwirten spricht und Verständnis für deren Lage äußert, auf der anderen Seite aber keine Preisanhebungen zulassen will. Die an die Milchwirtschaft herangetragenen grünen Wünsche könnten jedenfalls nicht zum Nulltarif erfüllt werden, sagte Stahl.

 

Branchenkommunikation

Kerstin Wriedt, Geschäftsführerin der Initiative Milch 2.0, berichtete unter dem Thema „Gemeinsam die Fankurve der Milch aktivieren“ wie die neue Branchenkommunikation ihre Aufgabe angeht. Zunächst hat die Initiative Milch eine Befragung von Verbrauchern über den Stellenwert von Mopro unternommen. Hier kam zum Ausdruck, dass Mopro für 90% der Konsumenten mit Genuss und Vielfalt punkten. Im Umkehrschluss ist die Zahl der Milchkritiker nicht so groß wie diese selbst glauben machen. Wriedt sieht die Aufgabe der Initiative in Gestaltung und Moderation der Diskussion und der Schaffung von Transparenz in einer „streitbaren Offenheit“. Hierbei wird auch aktiv auf Medien zugegangen. Auf der Website sind nun Webcasts mit Einblicken in Milchbauernhöfe abrufbar, die Kanäle auf Instagram und Twitter sind eingerichtet. Über Instagram und Influencer wurden in vier Wochen 900.000 Kontakte und 12.000 Contentinteraktionen erreicht. Von Seiten der Verbraucher kamen positive Signale dahingehend, dass sich endlich wieder eine Stelle positiv mit Milch auseinandersetzt, berichtete Wriedt. Auf Plakaten und Anzeigen wird eine emotionale Sprache mit dem Fokus auf Genuss und Mopro als Kulturgut verwendet.

 

Wirtschaftliche Aussichten

Christian Lips (links im Bild, rechts: MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser), Chefvolkswirt der Norddeutschen Landesbank, gab einen Wirtschafts- und Kapitalmarktausblick. Nachdem die Wirtschaft durchaus gut aus der Pandemie starten konnte, sind die Auftragsbücher voll wie nie. Aber nun wird die Produktion durch Engpässe bei Rohstoffen, Logistik und Verpackung mit entsprechenden Kostensteigerungen behindert. Dies schmälert das Wachstum in der 2. Jahreshälfte, speziell im vierten Quartal 2021 wie auch im kommenden Jahr. Lips wies darauf hin, dass die Wirtschaft immer noch von den fiskalischen Maßnahmen während der Coronakrise abhängig ist und noch nicht wieder ganz auf den eigenen Beinen steht. Auf Seite der Notenbanken komme es nun darauf an, den Fuß vom Gas zu nehmen und Zinsvorgaben mit Blick auf die Arbeitsmärkte vorzunehmen.

Bei den Energiepreisen sieht Lips keine kurzfristige Entspannung, die Preise sein aber nicht politisch gemacht, sondern durch den harten Winter und den sonnenärmeren Sommer 2021 verursacht. Klar sei, dass wenn Energie durch den Ausstieg aus Atom und Kohle verknappt wird, sich dies bei den Preisen niederschlagen muss. Bisher waren die Tarifabschlüsse moderat, sagte Lips, aber wenn sich dies nun bei den im Handel, dem öffentl. Dienst und im Bauhandwerk anstehenden Verhandlungen anders ergeben wird, müsse mit einer Verstetigung der Inflation gerechnet werden. Bei den Zinsen sieht Lips auf der anderen Seite keine dramatischen Entwicklungen kommen.

 

Disruptive Entwicklungen

Prof. Dr. Nick Lin-Hi, der sich als Professor für Wirtschaft und Ethik an der Uni Vechta mit den wirtschaftlichen Folgen disruptiver Entwicklungen befasst, fragte ob die neue Milch morgen aus dem Labor kommen wird. Die Milchbranche ist für Lin-Hi verglichen mit anderen Wirtschaftsbereichen „old school“, sie habe keine größeren Innovationen hervorgebracht, außer dass die Effizienz immer weiter gesteigert worden ist. Fortschritte wurden stets nur in linearer Form erzielt. Man müsse sich vor Agen führen, dass 30% der Klimagasemissionen durch die Ernährung verursacht werden, die Hälfte davon über die tierische Produktion. Parallel steigt die Weltbevölkerung bis 2050 auf 10 Mrd. Menschen, wachsender Wohlstand wird die Nachfrage nach tierischen Produkten um 60% steigen lassen. Damit sind die Grenzen für die klassische Agrarwirtschaft aufgezeigt, wenn nichts passiert, muss der Konsum tierischer Produkte stark eingeschränkt werden.

Mit der zellulären Landwirtschaft entwickelt sich eine Sprunginnovation, die nachhaltige Ernährungssysteme möglich machen kann. Deren Produkte sind verglichen mit originären Erzeugnissen nachhaltiger und eines Tages auch preiswerter. Zugleich wird der Verbraucher keine Einbußen beim Genuss erleben, außerdem können diese zellulären Produkte auch gesünder sein. Die Startups, die an zellulären bzw. fermentativen Produkten arbeiten, werden die klassische Milchwirtschaft argumentativ vor sich hertreiben, erwartet Lin-Hi. Um ein Klumpenrisiko zu vermeiden, müsse die Milchindustrie den Fuß in die Tür setzen, neue „zelluläre“ Geschäftsfelder aufbauen, und dies vor dem zu erwartenden Siegeszug der Alternativen. Die sich abzeichnende größte bisher da gewesene Revolution in der Ernährungsgeschichte werde die Verbraucher am Ende ganz einfach mit dem Preisargument fangen, ist Lin-Hi überzeugt.

Roland Sossna / moproweb

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