mi | mi-Meinung
Wann die Sektorstrategie endlich kommen
wird, ist auch mehr als ein Jahr
nach der Initialzündung durch DMKChef
Ingo Müller offen. Die beteiligten Verbände
(Dt. Bauernverband, Dt. Raiffeisenverband, IGM,
Bundesverband der Privaten Milchwirtschaft und
Milchindustrie-Verband) scheinen sich, nach allem,
was man hören kann, im Grunde in den meisten
Punkten einig, nur in Einem nicht, nämlich ob eine
Branchenorganisation gebraucht wird.
Viele Theoretiker, die aktuell die Agrarpolitik zu
gestalten vorgeben, verlangen vehement nach
einer solchen BO. Auch der Bauernverband will
4 4 2019 | moproweb.de
Im Grunde nur
noch ein strittiger Punkt
Die Geister scheiden sich an der Branchenorganisation
Das ewige Kuddelmuddel
Die Engländer und die EU bekommen einfach gar nichts hin
Wir schreiben das Jahr 2119. Nach
schier endlosen Verhandlungen und
Fristverlängerungen – sie werden
von Geschichtsschreibern inzwischen kurz als der
„100jährige Europäische Zoff“ oder das „Ewige
May-Juncker-Gemerkel“ tituliert – ist die Abspaltung
Großbritanniens von der Europäischen Gemeinschaft
Fakt geworden. Ermöglicht wurde dies
durch eine Wiedervereinigung der irischen Insel, die
den lange als unvermeidlich geltenden Backstop im
späten 21. Jahrhundert obsolet gemacht hat. Die EU
und das UK konnten in der Folge eine weitreichende
Vereinbarung treffen, wonach beide Seiten vollen
Markzugang erhalten, Grenzkontrollen ausgeschlos-
sie. Aber warum eine BO wirklich nötig ist, diese
Frage bleibt zumindest offiziell unbeantwortet.
Die Begründung auf Seiten der Politik ist leicht
zu erahnen: viele misstrauen – weil ihr beruflicher
und/oder ideologischer Hintergrund es einfach
nicht zulässt – den Selbstregelungsmechanismen
der Wirtschaft und sehen das Heil für alles eher
in Auflagen, Verboten und (politisch gesteuerten)
Nichtregierungs-Organisationen. Ein der Branche
übergestülpter Körper hätte den Charme, dass
die Politik bei schlechter Marktentwicklung völlig
außen vor bleibt, allein die BO muss es ja richten.
Bei positiver Konjunktur kann man sich indes selbst
auf die Schulter klopfen, weil mit der BO ja alles
richtig geregelt worden ist.
Aus Sicht des Bauernverbandes scheint es wohl
eher um Macht- und Imagegewinn zu gehen. Die
Nutzung von in Brüssel bereitgestellten Budgets
für generische Absatzförderungsmaßnahmen ließen
sich im Prinzip problemlos über die Landesvereinigungen
abrufen, wenn dies denn gewollt wäre.
Über die überaus komplexe Umsetzung solcher
Projekte soll hier nicht weiter spekuliert werden,
doch offenbar ebenso nicht gewollt ist die Einsetzung
des vom DBV geführten Verbandes der
Deutschen Milchwirtschaft (VDM) als quasi bereits
existierende Branchenorganisation. Nur mit einer
von der Regierung aufoktroyierten BO lassen
sich wirkliche Eingriffe in das Verhältnis zwischen
Erzeugern und Verarbeitern machen, etwa wenn
es um die Ausgestaltung der Lieferverträge, oder
um Mengen- und Preisvereinbarungen im Vorlauf
geht. Hier ergäbe sich für den Bauernverband, der
sicher auch die Leitung einer BO beanspruchen
würde, ein wunderbares Spielfeld. Allerdings ist die
Finanzierung einer BO – und davon hängt ja alles
ab – nicht geklärt. Freiwillige Zahler für eine BO
dürfte es in der Branche eher wenig geben. Außer
vielleicht dem Bauernverband, der sich von einer
Allgemeinverbindlichkeit der Beschlüsse „seiner“
BO sicher viel versprechen würde.
Gemeinsamkeit herrscht unter den an der Sektorstrategie
Beteiligten in zahlreichen Bereichen,
etwa was Exportwesen, Veterinärfragen oder die
Wissenschaft angeht. Auch bei einer Mengensteuerung
scheinen sich alle Seiten einig. Zu erahnen
ist, dass dabei wohl auf bessere Mengenplanung
und Abstimmung zwischen Landwirten und Molkereien
und auf die Risikoabsicherung über Börsen
fokussiert wird. An sich stünde der gemeinsamen
Verabschiedung einer Branchenorganisation nichts
mehr im Weg, wenn endlich die Vision für eine im
Grunde zumindest der Milchwirtschaft und ihrer
Marktbearbeitung nicht nützende BO aufgegeben
würde. Dafür muss aber wohl noch viel Wasser die
Spree hinunterfließen, meint Roland Soßna.
sen werden, die Residenzfreiheit erhalten bleibt und
die Engländer freiwillig inflationsbereinigt doppelt
so hohe Beiträge an Brüssel entrichten wie vor dem
Brexit-Referendum.
So weit die Fiktion. Tatsächlich sieht es so aus,
dass die Brexit-Streitereien für die nächste Zeit ein
fester Begleiter in unserer Welt bleiben werden. Die
kommenden Jahre sind wohl jeweils Übergangsjahre,
in denen der augenblickliche 12-Monatszeitraum
schlechter als der vorhergehende, aber besser als
der folgende sein werden. Wenn Unsicherheit einen
Fixpunkt für das Geschäft bildet, dann wird
sie irgendwann zu einem Faktum, an dem sich die
Wirtschaft ausrichtet. Was, wenn kontinentale Molkereien
und Käsereien des Ganzen überdrüssig werden,
bald überhaupt keine Geschäfte mit den Briten
mehr machen wollen und ihre Produkte anderswo
vermarkten? Quasi freiwillig den Bruch vorwegnehmen,
um plötzlichen größeren Verwerfungen aus
dem Weg zu gehen? Zwingen kann einen ja niemand,
seine Waren an einem bestimmten Ort zu verkaufen.
Am Ende stehen lauter Fragen, die kein Mensch
beantworten kann. Aber es spricht viel dafür, dass
sich die Wirtschaft selber ordnet, wenn die Politik
sich zum Millionsten Mal als unfähig erweist. Vielleicht
sollte man Politik ohnehin komplett abschaffen
– das Experiment könnte sogar glücken, meint
Roland Soßna.
ROLAND SOSSNA
REDAKTION