mi | mi-Meinung
Gerade hat die UNESCO die „Idee und
Praxis der Genossenschaft“ auf die
Liste des immateriellen Weltkulturerbes
aufgenommen, da droht diesem Erbe
Ungemach durch eine Diskussion, die nur als
Ablenkung von politischer Handlungsunfähigkeit
bewertet werden kann.
Die politische Diskussion um eine Änderung
der genossenschaftlichen Milchlieferbedingungen,
flankiert durch das Bundeskartellamt,
hilft weder den Milchbauern noch der
4 6 2017 | moproweb.de
Genossenschaften:
Ein offenes Wort!
Milchlieferbedingungen sind kein Selbstzweck
Milchwirtschaft. Sie geht am Kern der Misere
am Milchmarkt vorbei. Weltmarkpreise entstehen
nicht durch Milchlieferbedingungen
in Genossenschaften.
Die Diskussion stellt ohne Not bewährte
genossenschaftliche Grundprinzipien in Frage,
die es für viele Landwirte erst möglich
machen, am Markt teilzuhaben. Dies gilt im
Übrigen nicht nur für Milchbauern, sondern
auch für Obst- und Gemüseproduzenten,
Winzer und Fischer, die ihre Produkte gemeinsam
in Genossenschaften vermarkten.
Bisher haben die Landwirte als Eigentümer
noch keiner genossenschaftlichen Molkerei
grundlegende Veränderungen der Milchlieferbedingungen
beschlossen, obwohl dies
in zahlreichen Mitgliederversammlungen
intensiv erörtert wurde. Die grundsätzlich
breite Akzeptanz der genossenschaftlichen
Lieferbeziehungen bestätigt auch die von
Professor Dr. Hess (Universität Kiel) im Februar
vorgestellte Umfrage unter deutschen
Milchbauern.
Die Ergebnisse zeigen zwar auch Unterschiede
zwischen großen und kleinen Milcherzeugerbetrieben.
Kühe in der virtuellen Realität
Cyber-Milch muss doch einfach besser sein
Viele Genossenschaften
haben hier allerdings auch reagiert und sind
dabei, flexible Lösungen zu entwickeln, die
auch verschiedene Interessen ihrer Mitglieder
berücksichtigen. Änderungen an den
Keiner hat wohl bisher die Welt aus
den Augen einer Milchkuh heraus
gesehen, außer vielleicht Buddhisten
auf ihrem mühsamen Weg zum Nirwana.
Aber die haben uns bislang meist nichts
Brauchbares aus ihrer Erfahrungswelt zu
berichten gewusst.
Daher sind wir allesamt auf Einschätzung
und Mutmaßung angewiesen, ob die Maßnahmen,
die wir dazu treffen, dass unsere Nutztiere
sich unter unserer Obhut auch wirklich
wohlfühlen, tierwohlbezogen auch wirklich
etwas taugen. Nicht schwer zu erkennen ist,
dass Kühe sich auf einer Weide wohl fühlen.
Aber was empfindet die im Stall überwinternde
Kuh? Reicht es ihr, wenn wir sie gut füttern
und ansonsten möglichst in Ruhe lassen?
Oder begehrt das Vieh nach Mehr?
Dies glaubt offenbar ein Appenzeller Bauer,
der seinen Kühen eine VR-Brille aufsetzt
bestehenden Rahmenbedingungen sind nicht
nur nicht erforderlich, sondern schädlich.
Die aktuelle Diskussion – die vor allem
von Dritten geführt wird – trägt hierbei der
Selbstbestimmung der Genossenschaften
durch demokratische Entscheidungsfindung
– als deren Markenkern – in keiner Weise
Rechnung.
Was die genossenschaftliche Lieferbeziehung
auszeichnet, das wissen häufig selbst
diejenigen nicht, die behaupten von der Materie
Ahnung zu haben! Sie bietet vor allem
eines: Stabilität und Sicherheit. Dabei sind genossenschaftliche
Annahmegarantie und Abgabepflicht
immer zwei Seiten einer Medaille.
Gerade in Zeiten schwankender Märkte können
sich die Erzeuger darauf verlassen, dass
ihre Milch abgenommen wird. Gleichzeitig
können sich die Molkereien darauf verlassen,
dass sie Milch angeboten bekommen. Stabilität
wird somit auf beiden Seiten gewährleistet:
Beim Erzeuger als Mitglied und bei seiner
Molkereigenossenschaft.
Es gilt also vor allem, den selbstbestimmten
Weg der Genossenschaften als Erzeugerzusammenschlüsse
weiter zu fördern und zu
unterstützen und deren Wettbewerbsfähigkeit
zu verbessern. Die Landwirte bestimmen
in Genossenschaften selbst über ihre Milchlieferbedingungen
– und das ist gut so!
und sie so im Winter auf eine Cyber-Alp
versetzt. Angeblich geben diese Kühe dann
eine „bessere“ Milch. Das Beispiel könnte
durchaus Schule machen. Möglicherweise
werden Lidl & Co. bald vorschreiben, dass
Ställe zu 3D-Kinos ausgebaut werden, damit
die Kühe sich permanent wie auf der Weide
vorkommen. Alles im Zeichen des Tierwohls,
versteht sich, meint Roland Soßna.
René Rothe, Vorstandsmitglied
im Genossenschaftsverband e.V.,
Neu-Isenburg