Es war seit längerem zu erwarten, dass
die Diskussion über die Art und Weise
wie Nutztiere gehalten werden, auch
die Milchwirtschaft erreichen wird. Und erneut
ist es das Nachbarland Österreich, das
Fakten setzt. Im Gegensatz zu den 2000er
Jahren war es diesmal allerdings die Regierung,
die initiativ geworden ist und im Frühjahr
2017 eine durchgängige Anbindehaltung
von Milchkühen gesetzlich untersagt hat,
ganz augenscheinlich um Zeit zu gewinnen,
bis möglichst viele der Kleinstbetriebe aufgegeben
haben werden und ohnehin neue
Verhältnisse herrschen.
4 12 2017 | moproweb.de
Gravierende Folgen
sind möglich
Die Anbindehaltung von Milchkühen ist
ein Ding der Vergangenheit
Vor über zehn Jahren hat die österreichische
Milchwirtschaft bereits mit der Umstellung
auf gentechnikfreie Rohmilch neue Verhältnisse
Mit der Ennstal Milch hat die erste österreichische
Molkerei dies jetzt vollumfänglich umgesetzt,
ab der Jahreswende soll Milch aus reiner
Anbindehaltung nicht mehr abgeholt werden.
Allerdings wird dies wohl erst ab Oktober 2018
wirklich praktiziert werden.
Das österreichische Beispiel wird Implikationen
für die deutsche Branche haben.
Denn auch hierzulande machen sich die
NGOs gegen die Anbindehaltung stark. Und
sie haben es bereits vermocht, den Lebensmittelhandel
auf ihre Seite zu ziehen. Eigene
Standards, von einzelnen Handelsunternehmen
gemeinsam mit NGOs entwickelt und
nicht mit denen abgestimmt, die es eigentlich
betrifft, sind längst Realität im Markt.
Es bedarf wenig Phantasie zu erahnen, dass
für Lidl & Co. die Anbindehaltung schon ein
Ding der Vergangenheit ist. Aber die Händler
werden ihre eigene Versorgungssicherheit
und damit ihre Verhandlungsmacht durch
ein zu rigoroses Vorgehen nicht gefährden.
Die eigentliche Gefahr liegt wie immer in der
Politik. Manche prominente „Agrar“-Politiker
werden Österreichs Beispiel nicht nur begeistert
aufgreifen, sondern mit Regelungen
deutlich übertreffen wollen. Ob die wenigen,
noch vorhandenen besonnenen Köpfe in der
Politik dem etwas entgegenhalten können,
ist offen. Von daher können durchaus Strukturbrüche
drohen, denkt Roland Soßna.
Anbindehaltung ist strikt verboten…
… es sei denn, man sieht das anders
geschaffen. Seinerzeit erfolgte der
Anstoß für diese Entwicklung durch massive
Kritik von NGOs, die eine breite Resonanz in
der Öffentlichkeit fand. In der Folge stellte
die Branche – gegen ihren anfänglichen Willen
– die Fütterung konsequent flächendeckend
um und hat sich quasi im willkommenen
Nebeneffekt einen Wettbewerbsvorsprung
speziell gegenüber ihren deutschen Wettbewerbern
sichern können. Aber nun sind
schon bald 50 % der bayerischen Rohmilch
gentechnikfrei. Über eher kurz oder als lang
wird GMO-Freiheit Normalzustand wohl auch
für ganz Deutschland werden.
Ging es bei GMO-Freiheit rein um das Futter,
so hat ein Eingriff in die Haltungsform von
Milchvieh eine ganz andere Dimension. Hier
geht es direkt um die Existenz bäuerlicher
Betriebe. Gerade in Österreich gibt es Landstriche,
in denen Weidegang schlicht nicht
möglich ist. Die alte österreichische Regierung
hat im März mit ihren neuen Anforderungen
an die Tierhaltung zumindest optisch eine
Zäsur gesetzt und eine kombinierte Haltung
aus Anbindestall und mindestens 90 Tagen
pro Jahr Frei/Weidegang als Mindeststandard
vorgeschrieben. Ganz klar sollen damit Strukturbrüche
weitestgehend vermieden werden.
Regierungen, aber auch manche Unternehmen
haben eines gemeinsam:
sie neigen zu blumigen Umschreibungen
für Dinge, die ihnen an sich nicht in
den Kram passen. Denn alles, was besser oder
mindestens anders klingt als es in der Realität
ist, lässt sich sehr viel leichter verkaufen.
Organisierte Schönfärberei ist nun mal
grundgutmenschlich und Schaumschlagen
war noch nie strafbar.
Der alte Slogan „Milch macht müde Männer
munter“ darf in seiner Originalform nicht
mehr gebraucht werden, weil er möglicherweise
als sexistisch aufgefasst werden könnte
und nicht der Political Correctness PC
entspricht (da müsste mindestens „… und
müde Männerinnen“ ergänzt sein). Stattdessen
würde man heute sagen, Milch macht
erfinderisch, jedenfalls nachdem man hinter
manche Kulissen geblickt hat.
Ein Paradebeispiel für solche Neusprech-
PC ist die neue Vorschrift in Österreich,
nach der die ganzjährige Anbindehaltung
verboten ist. Milchkühen ist für wenigstens
90 Tage im Jahr Aus- oder Freilauf zu gewähren,
so heißt es in diesem weltweit wohl
einmaligen Gesetz. In einer kleingedruckten
Anmerkung steht aber sinngemäß auch,
dass dieses Gebot nicht gilt, wenn wichtige
Gründe dagegen sprechen. Das ist in etwa
so als müsste z. B. Tempo 100 auf der Autobahn
nicht beachtet werden, weil wichtige
Gründe, z. B. weil man es eilig hat, dagegen
stehen. Wir haben kapiert, nicht überall, wo
Tierwohl draufsteht, muss auch Tierwohl
drin sein, denkt Roland Soßna.
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