mi | Markt/Ökonomie/Betriebswirtschaft
Tabelle: Spezialmilchkonzepte in Europa
abzuwickeln, wie durch die „Long Tail“-Theorie beschrieben9. Aufgrund
dieser gesellschaftlich relevanten Entwicklung wird Produktdifferenzierung
auch explizit von der EU Kommission in der
derzeitigen Programmperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik als
Instrument zur Steigerung der Wertschöpfung empfohlen10.
Ökonomisch betrachtet ist Produktdifferenzierung eine der
drei von Michael Porter beschriebenen generischen Marktstrategien
für erfolgreiche Unternehmen11. Während Kostenführerschaft
den Markterfolg durch Niedrigpreise und Marktanteilsverbesserungen
anstrebt, zielt Produktdifferenzierung auf
Konkurrenzabgrenzung und Gewinnmargenverbesserung ab.
Mikroökonomisch lässt sich der Ansatz durch die Marktform der
monopolistischen Konkurrenz beschreiben, bei der Anbieter so
lange Monopolgewinne realisieren können, bis Mitbewerber vergleichbare
22 12 2019 | moproweb.de
Produkte auf den Markt bringen und so die Monopolsituation
brechen.
Beispiele für Märkte der Ernährungswirtschaft mit erfolgreicher
Produktdifferenzierung in den letzten Jahren sind Schokolade und
Bier. Bei Schokolade reicht die Preisspanne zwischen dem Discount-
und dem Luxusprodukt zwischen 0,49 € und 15,00 € pro 100 gr12.
Ein ähnlicher Trend ist bei Craftbier zu beobachten, der ebenfalls
zur einer „Explosion“ des Produktangebots geführt hat.
Aus der Sicht der Marketingtheorie lässt sich Produktdifferenzierung
auf allen Produktebenen durchführen13. Allerdings bietet
sich hierfür in erster Linie die Ebene des „realen Produkts“, also Änderungen
bei Verpackung, Marke, Design, Qualität, etc. an. Die Produktebene
des „erweiterten Produkts“ mit Dienstleistungseigenschaften
wie Reparatur, Lieferung, etc. ist bei Lebensmitteln beim
Verbraucherverkauf im Allgemeinen noch nicht stark ausgeprägt.
Die klassische Produktdifferenzierung unterscheidet zwischen
der horizontalen und vertikalen Dimension. Produktvarianten auf
gleichem Preisniveau stehen solchen gegenüber, welche durch spezielle
Qualitätsmerkmale Premiumpreise erzielen können. Subjektive
Gesamtqualität, d. h. die Kombination verschiedener Produkteigenschaften
ist zumindest bei Lebensmitteln mit dem Preis positiv
korreliert14. Allerdings sind bei diesen Produkten, insbesondere
tierischer Art wie Milch, zunehmend Prozess- und Glaubenseigenschaften
wie Herkunft, Gesundheits- und Nachhaltigkeitsmerkmale
wichtig15, welche sich schwierig in die klassische zweidimensionale
Produktdifferenzierungsmatrix integrieren lassen.
Erfolgreiche Differenzierung fußt auf schwer kopierbaren Alleinstellungsmerkmalen.
Hohe Preise können langfristig nur mit begrenzten
Mengen, d. h. verknappten Angebot bei hoher Nachfrage
gehalten werden.
Standard-, Spezial- und
Premiummilch
Spezialmilch ist Milch, die sich von der Standardmilch durch eine
oder mehrere Eigenschaften unterscheidet und einen höheren
Marktpreis erzielt. Premiummilch ist noch höherpreisige Spezialmilch
noch besserer Qualität. Die Tabelle fasst derzeitige, in Europa
vorhandene Spezialmilch-Konzepte zusammen16.
Die meisten dieser Konzepte sind allerdings kopierbar und führen
bei Erfolg häufig zur Konkurrenzsituation, Mengenausdehnung
und Preisverfall. Beispielsweise produziert Österreich heutzutage
allein mehr Biomilch als Südtirol Milch insgesamt. Die höheren Verkaufspreise
der Biomilch reflektieren meist höhere Herstellungskosten,
d. h. der Wettbewerb zwischen den zahlreichen Biomilchproduzenten
sorgt für Verkaufspreise nahe den Produktions- und
Distributionskosten.
Zur empirischen Überprüfung der Differenzierungssituation bei
Trinkmilch analysierten wir die Produktsortimente von 53 Online-
Lebensmittelhändlern in 13 verschiedenen Ländern. Es wurde die
Anzahl der zum Kauf angebotenen Produkte in den Kategorien
Milch (flüssig, tierisch, nicht aromatisiert), Saft (natürlich, fruchtbasiert),
Bier (malzbasiert, einschließlich alkoholfrei), Wein (traubenbasiert,
einschließlich Süß- aber ohne Schaumwein) und Kaffee
(Pulvererzeugnisse, keine Drinks) erhoben. Insgesamt wurden fast
62.000 Produkte erfasst.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Milchsortiment im Vergleich zu
den anderen Produktkategorien unterdifferenziert ist. In der Wein-
Differenzierungsbasis Beispiele
Topografie Berg-, Alpen-, Alm-/Alpmilch
Fütterung/Haltung
Heu-, Gras-, Weide-,
Wiesenmilch; Hörnermilch
Geografie
Regio-Milch; Bayrische
Bauern-Milch; Tiroler Milch; etc.
Produktion
Biomilch;
Alta Qualita Milch (Italien)
Zeit Jahreszeitenmilch; Nachtmilch
Inhaltsstoffe
Laktose freie Milch; Kalzium
angereichte Milch; A2 Milch
Technische
Funktionalität
Cappuccino-Milch
(Aufschäumeigenschaft)
Quelle: Fischer (2016)
Abbildung: Anteil der Differenzierungsdimension an allen erfassten
Trinkmilchprodukten (n = 1814) bei 53 Online-Händlern
in 13 Ländern