4 12 2019 | moproweb.de
Sieht gut aus,
taugt aber nichts
Der Missgriff mit dem NutriScore
mi | mi-Meinung
Roland Sossna
Redaktion
Das Worst Case Szenario
ist eingetreten,
und es musste auch
so kommen, bedenkt
man mit welch geringer Sorgfalt
und welch mangelnder Vorausschau
heutzutage gesetzliche Regelungen
getroffen werden: der
NutriScore wird ab dem kommenden
Jahr auch in Deutschland zum
Maßstab jeder Nährwertkennzeichnung.
Agrarministerin Klöckner will
diese Ampelkennzeichnung nun
rasch durch die Gremien puschen,
nachdem sich in einer von der EU
vorgesehenen Verbraucherumfrage
ein Mehrheitsvotum von 69 %
für den NutriScore ergeben hat.
Ob der einer angesichts 83 Millionen
deutscher Konsumenten relativ
geringen Zahl von nur 1.003
Verbrauchern von forsa vorgelegte
bloße Vergleich zum vom Max-
Rubner-Institut (MRI) entworfenen,
sehr viel besser zur Beurteilung
eines Lebensmittels geeigneten
„Wegweiser Ernährung“ manipulativ
war, lässt sich nicht mit Sicherheit
sagen. Aber ein solcher
Verdacht drängt sich regelrecht
auf. Zu sehr hatten sich die Multis
im Foodgeschäft vorab schon auf
den NutriScore eingeschossen, zu
nahe scheint die Landwirtschaftsministerin
den ganz Großen in der
Nahrungsmittelindustrie.
Offenbar hat den befragten
Verbrauchern die auf den ersten
Blick einleuchtende Farbcodierung
des NutriScore besser gefallen als
eine wabenförmige Anordnung
mit helleren oder kräftigeren Farbtönen,
wie vom MRI vorgeschlagen.
Stiftung Warentest berichtet, dass
vor allem Menschen, die sich selten
oder gar nicht mit der Zusammensetzung
von Lebensmitteln
beschäftigen, sowie stark Übergewichtige
für den Nutri-Score seien.
Testaufgaben hätten gezeigt, dass
die Befragten ihn von beiden Modellen
am besten verstehen.
Wobei „Verstehen“ nicht wörtlich
zu nehmen ist. Der NutriScore
hat nämlich große Schwächen.
Denn einige positiv belegte Nährstoffe
wie Omega-3-Fettsäuren
werden nicht erfasst. Olivenöl,
das gemeinhin als eines der besten
pflanzlichen Nahrungsfette
gilt, bekommt beim NutriScore ein
dunkles Rot bzw. das „D“, ohne dass
seine Ernährungseigenschaften
im Geringsten gewürdigt würden
(dieser Fehler soll inzw. allerdings
korrigiert worden sein). Ähnliches
gilt für Butter, deren Verbrauch
von der Ernährungswissenschaft
regelmäßig empfohlen wird. Käse,
speziell die qualitativ hochwertigen
Sorten bekommen im NutriScore
allesamt ein „D“ oder gar ein „E“.
Auch hier wird in keiner Weise darauf
Rücksicht genommen, dass
Käse wie alle Mopro ein wichtiger
Träger von Calcium mit bester
Bioverfügbarkeit dieses wichtigen
Mineralstoffs ist. Und, allerhöchste
Grobheit: Cola light schneidet im
NutriScore besser ab als Trinkmilch.
Noch ein Nachteil des NutriScore
ist, dass Verbraucher am POS/
Kühlregal gar nicht nachvollziehen
können, wie die Berechnung überhaupt
zustande kommt. Sie müssten
sich im Internet über die Berechnungsgrundlage
informieren,
was erfahrungsgemäß wohl kaum
einer machen wird. Da hilft es auch
nichts, wenn Klöckner eine Verbesserung
des Algorithmus verspricht,
der über das Abschneiden eines
Lebensmittels im NutriScore entscheidet.
Die Sieger im unappetitlichen
Kuddelmuddel um die Nährwertkennzeichnung
sind die Kunstkreationen
der Multis und die Milchersatzerzeugnisse,
Verlierer sind
eindeutig die Naturprodukte – je
besser sie qualitativ sind, zu desto
größeren Losern werden sie. Damit
ist abzusehen, dass der NutriScore
eine Wirkung entfalten wird, die
komplett gegen die Intention jeder
vernünftigen Ernährungspolitik
läuft: die (wenig aufgeklärten)
Konsumenten werden geblendet
von den Ampelfarben mehr zu den
falschen Erzeugnissen greifen, die
Ernährungssituation der Bevölkerung
wird sich nicht verbessern,
sondern als Folge der Nebelkerze
NutriScore tendenziell verschlechtern.
Klöckner & Co. haben jetzt
ihre Ruhe, und das scheint wohl
auch die Hauptsache. Aber lassen
wir uns überraschen, vielleicht
kämpft ja irgendjemand noch für
die Gleichberechtigung erwiesenermaßen
vorzüglicher Nahrungsmittel
wie Mopro?
Dass die Kennzeichnung mit dem
NutriScore zunächst nur auf freiwilliger
Basis erfolgen soll, ist eine
Mär, denn der LEH wird sie ganz
einfach verlangen. Zudem werden
die Konzerne auf Allgemeinverbindlichkeit
drängen, sind sie doch
mit ihren Produktkompositionen
immer auf der sicheren Seite. Im
Fazit darf die Branche von der
Politik mit Fug und Recht Nachbesserungen
verlangen, meint Roland
Sossna, denn wenn die Kennzeichnung
so geregelt bleibt wie sie
jetzt beschaffen ist, braucht sie
wirklich niemand.