mi | Titelseiten-Story
desregierung. Die verlangt nicht nur Präventionsmaßnahmen für
Milchprodukte (Pasteurisierung), sie befürchtet darüber hinaus Belastungen
für die Anwohner im Umfeld landwirtschaftlicher Betriebe.
Die Technische Anleitung Luft (TA Luft) schreibt in ihrer aktuellen
Novelle deshalb erstmalig vor, bei genehmigungsbedürftigem Anlagen
auch Minderungsmöglichkeiten für Keime und Endotoxine zu
prüfen. Entsprechende Maßnahmen könnten beispielsweise Biowäscher
und Biofilter sein, um einen Großteil der organischen Fracht,
die mit der Stallabluft in die Umwelt entweichen würde, abzufangen.
Der Lebensmittelhygiene kommen solche Ansätze zur Minderung
der Pathogene in der Außenluft naturgemäß nicht zugute.
Die Aerosole können den Menschen durch infektiöse, allergische,
toxische, pharmakologische oder andere Prozesse angreifen. Der
Infektionsweg kann sowohl über die Atmung als auch über den
Ernährungstrakt gehen: Bekanntlich gehören Landwirte und Veterinäre
zu den beiden Berufsgruppen mit dem höchsten Zoonose-
Risiko, was in erster Linie mit der Luftverkeimung (Atmung) zu tun
hat. Typisch für den Ernährungstrakt sind dagegen die teils schweren
Erkrankungen von Kindern, die während eines Urlaubs auf dem
Bauernhof unabgekochte Rohmilch (nicht Vorzugsmilch) getrunken
haben. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit warnt deshalb auf seinem Portal im Internet
mit der Mitteilung, „Rohmilch – ein unterschätztes Risiko?“
vor dem Trinken Natur belassener, frischer Milch.
14 7 2017 | moproweb.de
Vorsorge besser als Nachsorge
Das Fragezeichen hinter Risiko will nicht zur Diskussion zum Thema
einladen. Es steht für ein Jein: Risiko ja bei nichtabgekochter
Rohmilch, Risiko nein nach der Sterilisierung. Damit ist die eine Möglichkeit
der Prävention angesprochen, nämlich die thermische und/
oder chemische Entkeimung des Lebensmittels als Nachsorge. Die
Methode gestattet mithin eine bestimmte Verkeimung der Milch
und Joghurts und des Käses, tötet aber die Aggressoren durch
Konservierungsstoffe ab. Deshalb der Bezeichnung Nachsorge. Für
Lebensmittel wie auch für Kosmetika müssen diese Zusatzstoffe
nach einer Vorgabe der Europäischen Union gelistet und mit ihrer
E-Nummer oder ihrer genauen Bezeichnung auf der Verpackung
angegeben sein. Sie stehen jedoch im Verdacht, bei empfindlichen
Personen Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien
auszulösen und im Extremfall Krebs zu begünstigen. Wegen der
geringen Immunität von Kleinkindern darf Babynahrung überhaupt
nicht mit Konservierungsstoffen haltbar gemacht werden.
Die Lebensmittel- und Biochemiker wissen um die Reaktionen und
Nebenwirkungen ihrer Inhibitoren. Wegen der Nebenwirkungen mixen
sie einen Cocktail von chemischen Zugaben, von denen einige
einzig die Aufgabe haben, diese Nebenwirkungen zu mildern. Selbstverständlich
sind der jeweiligen Dosis Grenzen gesetzt. Das gilt bekanntlich
auch für die thermische Behandlung. Das Pasteurisieren
um etwa 70 Grad Celsius richtet sich insbesondere gegen Pathogene,
vegetative Zellen und Keime, wie dem Tuberkelbazillus. Noch höhere
Temperaturen bedeuten aber keine große Abhilfe, da beinahe
jede Bakterie hitzeresistente Endosporen enthält, die selbst stundenlanges
Kochen überleben. Also fahren die Hersteller in der Regel
bei Milchprodukten zweigleisig, nämlich in Form von thermischer
Desinfektion plus dem Zusatz von Calciumsorbat (E 203), einem
Abkömmling der Sorbinsäure. Zu den gesundheitlichen Risiken von
Calciumsorbat gehören bei empfindlichen Personen Reizungen der
Schleimhäute und pseudoallergische Reaktionen. Die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung,
die die Beimischung von Konservierungsstoffen
zu Lebensmitteln regelt, orientiert sich in ihren Grenzwerten indes
weniger an diesen sekundären Nebenwirkungen, sondern primär
an der Zielfunktion, der Keimabtötung. Das Lebensmittelrecht muss
einfach Kompromisse gehen und zwischen verschiedenen Schutzniveaus
abwägen beziehungsweise Prioritäten setzen.
Physik statt Chemie
Das gelingt mehrheitlich. Man kann nicht von großen hygienischen
Missständen bei Milch- und Käseprodukten in Deutschland und
Europa sprechen. Freiwillige und behördliche Kontrollen behalten
vor allem Qualität und Behandlung von Lebensmitteln tierischen
Ursprungs im Blick. Die ältere EG 882/2004, die sich derzeit in Revision
befindet, dürfte bald von einer noch strengeren EU-Kontrollverordnung
abgelöst werden. Darauf haben sich die EU-Agrarminister
im Juli 2016 geeinigt. An der Umsetzung und nationalen
Anpassung des neuen Hygienepakets arbeiten derzeit verschiedene
Behörden: an einer Lebensmittelhygiene-Verordnung LMHV, an
der Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung Tier-LMHV sowie
an einer Tierischen Lebensmittel-Überwachungsverordnung Tier-
LMÜV, um nur einige aus der Reihe der zukünftigen amtlichen Papiere
zu nennen. Aber, wie gesagt, all diese Papiere befassen sich
mit dem Schutz vor Kontaminierung und vor Pathogenen, weniger
mit den Nebenwirkungen der Schutzmaßnahmen.
Für Deutschland bereits patentiert, der europaweite Schutz
ist beantragt (Abbildung: Fischerplanning)